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Talente brauchen Förderung

Von Heiner Boberski

Politik

Zwei bis drei Prozent eines Jahrgangs sind wirklich hochbegabt. | Im richtigen Umfeld sind 25 Prozent zu Spitzenleistungen fähig. | Wien. Stören des Unterrichts, demonstrative Langeweile, Geistesabwesenheit - Kinder, die damit in der Schule auffallen, sind mitunter hochbegabt und nur unterfordert. Weil der Lehrstoff für sie nichts Neues bietet oder sofort in Fleisch und Blut übergangen ist, fadisieren sie sich und sorgen für Probleme im Klassenzimmer.


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Hochbegabung ist heuer das Spezialthema auf Österreichs größter Baby-, Kinder- und Familienmesse "Kiddyworld" (1. bis 3. Oktober in den Wiener Pratergalerien). Eltern, die vermuten, ihr Kind könnte hochbegabt sein, erhalten dort fachkundige Beratung. Im Einsatz wird dabei Katja Higatzberger-Rieht sein, die gerade eine einschlägige psychologische Ausbildung an der Donau-Universität Krems abschließt. Die vierfache Mutter hat vor einigen Jahren in Mödling den Verein "Hochbegabung Mödling" gegründet, um dort die Bedingungen für hochbegabte Kinder zu verbessern. Ihr ist es ein Anliegen, dass sich Eltern informieren, ehe ihnen die Probleme mit ihren Kindern über den Kopf wachsen und "lieber einmal mehr als zu wenig" professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um für ihr Kind die richtige weiterführende Schule zu finden.

Hochbegabung im klassischen Sinn liegt vor, wenn ein Kind einen Intelligenzquotienten (IQ) von 130 oder mehr besitzt, das sind etwa zwei bis drei Prozent eines Jahrgangs, erläutert Stefana Holocher-Ertl, Assistentin an der Uni Wien und Expertin für Psychologische Diagnostik. Das Potenzial zu Höchstleistungen hätten aber noch viel mehr Kinder, rund ein Viertel von allen, sofern das Umfeld stimmt, Interessen geweckt und gefördert werden, eine bestimmte Motivationshaltung und Ausdauer dazukommen.

Holocher-Ertl beschäftigt sich mit der Frage: "Wie kommt es von einer Hochbegabung zu einer schulischen Höchstleistung?" Sie hält es für gut, wenn Eltern - am besten bei jenen niedergelassenen Psychologinnen, die sich mit Hochbegabung auskennen - vor der Einschulung einmal testen lassen, welche Stärken und Schwächen ihr Kind hat. Die genaue IQ-Zahl zu erheben, sei dabei "weniger wichtig", das Ergebnis hänge nicht zuletzt davon ab, ob der Test mehr oder weniger stark Naturwissenschaftliches oder Sprachliches abfrage. Grundsätzlich gehe es bei jedem Kind, nicht nur dem hochbegabten, darum, aus dem jeweiligen Potenzial das Beste zu machen: Stärken zu stärken und Schwächen möglichst auszugleichen.

Dass oft im Schulwesen die Arbeit an den Schwächen Kinder daran hindert, ihre Stärken voll zu entwickeln, hat Andreas Salcher in seinem Buch "Der talentierte Schüler und seine Feinde" dargelegt. Auch an der von Salcher mitbegründeten Sir-Karl-Popper-Schule (SKP) in Wien-Wieden, die einen Schulversuch für Hochbegabte am Wiedener Gymnasium darstellt, sei der genaue IQ unerheblich, betont der neue Direktor der Schule, Edwin Scheiber.

Die SKP ist eine AHS-Oberstufe mit jeweils zwei fünften bis achten Klassen (bisher jeweils eine Klasse Gymnasium und eine Realgymnasium). Jährlich werden von rund 100 Bewerbern 48 aufgrund international anerkannter Tests in die Schule aufgenommen, die über ein spezielles modulares Kurssystem verfügt. Mit jedem einzelnen Schüler werden zu Beginn Vereinbarungen ("Contracting") getroffen.

Recht auf adäquate Bildung

Mit Verweis auf den Schweizer Bildungsforscher Willi Stadelmann meint Scheiber, dass eine Begabung zu etwa 50 Prozent von den Genen und zu jeweils rund 25 Prozent vom Elternhaus und von der Schule beziehungsweise Gleichaltrigen (Peers) beeinflusst werde. Wenn die Bildungsentwicklung nicht funktioniere, würden auch Hochbegabte ihre Talente nicht in Leistung umsetzen können. Auch wenn die Klientel der SKP homogen erscheine, die einzelnen Schülerinnen und Schüler müssten sehr unterschiedlich gefördert werden.

Insofern kann sich Scheiber eine gemeinsame Schule für alle mit gleichen Inhalten und Methoden nicht vorstellen. Scheibers Fazit: "Ich glaube, man verwechselt Gleichheit mit Gerechtigkeit. Die nötige Binnendifferenzierung würde zu riesigen Kosten führen. Jeder hat ein Recht auf adäquate, nicht auf gleiche Bildung. Begabungsförderung ist nicht eine Systemfrage, sondern eine Frage der Ressourcen."