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Verbrannte Reste des Korans auf US-Stützpunkt Bagram heizen Lage an.
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Kabul. "Wir wollen keine Ausländer hier", zischelt Obstverkäufer Mohamend Arif böse. Der 52-Jährige verkauft Äpfel und Orangen am Straßenrand von Karta-i-Naw im Osten der Hauptstadt Kabul. Die Läden hinten ihm sind fest verrammelt, auf der gefrorenen Fahrbahn protestieren wütende Menschen gegen die Koran-Verbrennung durch amerikanische Soldaten auf der US-Militärbasis Bagram, etwa 60 Kilometer entfernt von Kabul. Eine Gruppe von Demonstranten und dick vermummte Polizisten leisten sich ein hartes Gefecht. "Hau ab, so schnell Du kannst", rät ein junger Polizist. "Die Leute hier sind böse auf alle Ausländer." Bei den Afghanen ist der Ärger über die Vorgänge in Bagram groß. "Nach zehn Jahren sollten die Ausländer doch wissen, wie ernst wir religiöse Dinge nehmen", bemerkt Obsthändler Arif bitter. Die Fremden seien nicht hier, um uns helfen, sondern wollten nur Schlechtes für das Land. Dann reicht er einen schönen, gelben Apfel als Geschenk, als wolle er sich für seine bösen Worte entschuldigen.
Die Wut auf die fremden Truppen im Land wurde am Donnerstag zwei Nato-Soldaten im Osten Afghanistans zum Verhängnis: Ein Afghane in Armeeuniform erschoss zwei ausländische Truppenangehörige in der Provinz Nangahar, wo ein Mob offenbar versuchte, eine Militäreinrichtung zu stürmen. Besonders brisant dabei: Nur Stunden zuvor hatten die aufständischen Taliban die afghanische Bevölkerung aufgefordert, ausländische Soldaten anzugreifen und zu töten, um Rache für die Koran-Entweihung zu nehmen. Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid forderte in einem Statement, Westler zu "töten, zu verprügeln und gefangen zu nehmen, um ihnen eine Lehre zu erteilen, nie wieder den heiligen Koran zu entweihen". Die USA und die Nato kämpfen seit über zehn Jahren am Hindukusch gegen die radikal-islamischen Taliban.
Bei Zusammenstößen in der nordafghanischen Provinz Bagh-lan, die zum Einsatzgebiet der deutschen Bundeswehr gehört, wurde ein Demonstrant getötet als hunderte Aufrührer versuchten, ein Polizei-Hauptquartier zu stürmen.
Koran-Beschädigung giltals schlimmstes Vergehen
Die Proteste hatten begonnen, nachdem afghanische Arbeiter verbrannte Reste des Korans auf dem amerikanischen Stützpunkt in Bagram gefunden hatten. Die Koran-Schrift ist im Islam heilig. Das Buch darf nur nach einer rituellen Reinigung berührt werden. Zum Schutz vor Regen oder Staub wird der Koran in Afghanistan oft in bunte Tücher eingeschlagen.
Das Buch zu beschädigen oder gar zu verbrennen, gilt als eines der schlimmsten Vergehen. Unklar ist, ob die Exemplare des Koran in Bagram irrtümlich in die Verbrennungsanlage geraten waren oder ob die Bücher aus Absicht verbrannt worden waren, etwa um geheime Botschaften zwischen afghanischen Gefangenen in Bagram zu zerstören, wo sich ein großes Internierungslager befindet.
Karzai berief Parlamentzu Krisensitzung ein
Afghanistans Präsident Hamid Karzai, der von US-Botschafter Ryan Cocker ein offizielles Schreiben von Präsident Barack Obama erhielt, in dem sich dieser entschuldigte und betonte, die Verbrennung von Koran-Exemplaren sei nicht vorsätzlich geschehen, versuchte die Situation zu beruhigen und rief am Donnerstagmorgen das Parlament zu einer Krisensitzung zusammen. Doch die Worte des Regierungschefs konnte den allgemeinen Ärger über die Koran-Verbrennung kaum beschwichtigen: Volksvertreter riefen während der Sitzung zum "Jihad", zum Gotteskrieg gegen das amerikanische Militär auf.
Die blutigen Proteste gegen ausländische Truppen gingen unvermindert weiter. Tausende Menschen demonstrierten den dritten Tag in Folge gegen die USA und die Nato. Insgesamt sollen mindestens fünf Menschen bei Kämpfen zwischen Demonstranten und der Polizei ums Leben gekommen sein. Am Mittwoch waren bei Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstranten bereits mindestens acht Menschen getötet und Dutzende verletzt worden. Westliche Beobachter befürchten eine neue Protestwelle am Freitag nach Ende des traditionellen Freitagsgebets in den Moscheen.
Im April 2011 hatte die Koran-Verbrennung eines US-Predigers in Florida wütende Proteste in Afghanistan ausgelöst. Elf Menschen kamen ums Leben, als eine Menschenmasse in Masar-e-Sharif das UNO-Büro stürmte - unter den Toten waren auch sieben ausländische UN-Mitarbeiter.