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Politikwissenschafter Emmerich Tálos im "Wiener Zeitung"-Interview. | Abspaltung der GÖD "ist ein Schuss ins eigene Knie". | "Wiener Zeitung":War die Abwahl von GÖD-Chef Fritz Neugebauer im ÖGB eine konzertierte Aktion?
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Emmerich Tálos: Das hat mit einer Verschwörungstheorie nichts zu tun. Schließlich wurden andere FCG-Mitglieder sehr wohl gewählt. Es zeigt vielmehr ein strukturelles Dilemma der Verbindung von Gewerkschafts- und Parteifunktion auf. Neugebauer hat ÖGB-Beschlüsse gefasst und diesen als Parlamentarier widersprochen. Und er hat mit seinem Fernbleiben vom ÖGB-Kongress gezeigt, dass ihm die Parteifunktion wichtiger war als die Gewerkschaftsfunktion.
Wie könnte man solche Wahlergebnisse vermeiden?
Der einzige Weg wären Direktwahlen. Im ÖGB hat sich eine Saturiertheit breit gemacht, weil die Spitzen glauben, dass sie ewig sicher sind.
Die Delegierten sind mit Strukturkritik sehr maßvoll umgegangen. War das ein Votum gegen die Reform?
Es zeigt ein Glaubwürdigkeitsproblem nicht nur des ÖGB, sondern auch der handelnden Personen. Das war die rote Karte mittels Wahlverhalten.
Wie beurteilen Sie die Loslösungstendenzen der GÖD?
Der ÖGB hat die Möglichkeit zur Gründung eines Zweigvereins beschlossen. Da darf man sich dann nicht wundern, wenn eine Teilgewerkschaft das nützt. Es ist durch Taktieren ein Fenster geöffnet worden, das nicht mehr geschlossen werden kann.
Was würde eine Abspaltung der GÖD bedeuten?
Wenn die GÖD den ÖGB überhaupt verlässt, wird sie viele Mitglieder verlieren und zu einer Vorfeldorganisation der ÖVP, wodurch sie in direkter Konkurrenz zum ÖAAB steht. Ein Schritt raus aus dem ÖGB ist ein Schuss ins eigene Knie, weil er in die Bedeutungslosigkeit führt.
Der ÖGB-Reformkongress ist zu Ende. Wie sieht Ihre Beurteilung aus?
Es wurden erste wichtige Schritte gesetzt, aber der ÖGB hat weiterhin organisatorische, finanzielle und inhaltliche Probleme. Organisatorisch wäre eine Direktwahl notwendig. Finanzielle Gründe soll man nicht zum Maßstab machen dafür, ob es Demokratie gibt. Der ÖGB muss seine Finanzen klären: Mit weniger Mitteln wird er wichtige Aufgaben nicht mehr erfüllen können, was seine Legitimation weiter schwächt. Und drittens muss der ÖGB lernen, Solidarität bei Heterogenität zu leben: Frauen und atypisch Beschäftigte ins Boot holen.