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Der Vermögenspsychologe Tarek Josef el Sehity analysiert die seelische Bedeutung des Geldes, denkt über die Rolle des Neides nach und fordert eine neue staatliche Finanzpolitik.
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"Wiener Zeitung": Sie sind "Geldpsychologe" und befassen sich mit Vermögenspsychologie - was kann man sich darunter vorstellen?

Tarek el Sehity: Ganz einfach: Bei mir legen Sie die Geldscheine direkt auf die Couch. Das ist sehr effizient. Wenn Sie wieder gehen, haben Sie sofort ein paar Sorgen weniger. Aber fragen Sie mich jetzt nicht nach meinen Preisen. . .
Wir wollen ja niemanden abschrecken. . .
Das wäre auch schade, denn Geld ist viel mächtiger, als die meisten vermuten. Da ist viel Aufklärungsbedarf gegeben. Mich als Geldpsychologen interessiert die Art und Weise, mit der das Geld auf Menschen wirkt. Die Macht des Geldes wird drastisch unterschätzt, wenn man meint, mit diesem Papier in der Hand einfach ein effizientes Mittel zu besitzen. Tatsächlich macht uns der Geldbesitz zu etwas, noch bevor wir Gelegenheit dazu haben zu entscheiden, was wir mit dem Geld überhaupt machen wollen. Die Extreme verdeutlichen dies: Ohne Geld werden uns Türen und Tore verschlossen, von denen wir nicht einmal wissen, dass es sie überhaupt gibt. Nicht umsonst wird Armut seit einigen Jahrzehnten als ein Phänomen sozialer Isolierung angesehen und untersucht. Da verdeutlicht sich für den Geldpsychologen die Wirkung des Geldes - in seiner Abwesenheit!
Und wie sieht es bei den Reichen aus?
Die Wirkung des Geldes verstärkt sich hier enorm. Die Armen können ihr Problem noch relativ gut benennen. Menschen mit großen Reichtümern sind sich bewusst, dass ihr Geld eine mächtige Wirkung auf ihr Umfeld hat, aber sie können die Wirkung ihres Geldes auf sich selbst und ihre Familie kaum erfassen. Unterschwellig und beiläufig meldet sich der Verdacht, dass der eigene Erfolg ein Problem für die Anderen ist. Konflikte um materielle Fragen treten auf, Ansprüche werden angemeldet, und immer öfter ist Neid zu vermuten. In unserer Studie, die Ende des Jahres erscheinen wird, gaben die meisten der Befragten an, dass ihre größte Sorge den Neid der Anderen betrifft. In einer kleinen historischen Recherche wurde uns dann deutlich, dass diese Sorge schon immer ein Thema der Reichen war. Die "Neidköpfe" an mittelalterlichen Hausfassaden bezeugen dies genauso wie die antike Angst vor dem "bösen Blick". Reichtümer führen dazu, dass Mauern hochgezogen und Tore verschlossen werden, um unangenehme Blicke zu meiden. Man gesellt sich unter andere Millionäre auf der Suche nach sozialen Kontakten - in der Hoffnung, dass das Geld dann keine Rolle mehr spielt. Das Gegenteil ist aber wahr. Denn Milliardäre unterscheiden sich wiederum von Multimillionären - und diese von einfachen Millionären und so weiter. Hier kommt das Geld voll auf seine Rechnung: Immer mehr dreht sich alles darum, aber nicht um einen selbst.
Aber es fällt schwer, im Zuge der Wirtschaftskrise auch noch Empathie für Millionäre zu empfinden.
Es geht auch nicht um eine Kuriositätenschau der persönlichen Befindlichkeit unserer Reichen. Es geht darum zu verstehen, wie viel Reichtum psychologisch machbar ist. Bei den Reichen sollte es sich ja nicht um eine Parallelgesellschaft handeln, sondern um Menschen, die höchste Verantwortung tragen für gesellschaftliche Entwicklungen, die uns alle angehen. Wenn dann allerdings festzustellen ist, dass ein in reichsten Verhältnissen heranwachsender Mensch mit großer Wahrscheinlichkeit größere psychologische Probleme hat, so verdeutlicht sich die gesellschaftliche Dimension der Problematik.
In der Vermögenspsychologie interessieren wir uns für die Strategien, welche Menschen entwickeln, um mit Millionen oder gar Milliarden umzugehen. Im Prinzip handelt es sich dabei aber um eine Frage der Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft. Wir sollten ein wenig davon verstehen, warum die Demokratien am Anfang des 21. Jahrhunderts von Oligarchien überrumpelt wurden. Eine fürsorgliche Frage à la "Wie geht es uns, Mr. Oligarch?" ist in diesem Sinne nicht psychologisch gemeint, sondern soziologisch. So wie der Zustand Rumäniens in den 80er Jahren das mentale Befinden Ceauşescus widerspiegelte, so verhält es sich gegenwärtig mit dem mentalen Zustand einer erweiterten "Forbes"-Liste der Reichsten und unserem Globus.
Sie würden die globale Krise also auf das psychologische Befinden der Reichsten unter uns zurückführen?
Wir leben in einer Gesellschaft, die das Recht auf Privateigentum zu ihren Grundpfeilern zählt, und das mit gutem Recht! Es ist aber bedenklich, wenn Eigentümer Gewinne persönlich beanspruchen, Verluste hingegen der Öffentlichkeit anlasten. Versuchen Sie sich in den Kopf eines Juristen zu versetzen, der ein solches Gesetz formuliert. Oder in den Kopf eines Ökonomen, der dieses Prinzip verteidigt. Oder gar in den Kopf der Banker, die dies fordern. Da läuft psychologisch etwas schief: Gerechtigkeitsempfinden, Empathie, Solidaritätsvermögen, Verantwortungsbewusstsein - das kommt alles nicht vor! Oder schauen Sie sich in Italien an, wo der junge Eigentümer von Fiat fortlaufend damit droht, sein unproduktives Land zu verlassen. Das ist der Ur-Enkel einer Familiendynastie, die ihren phantastischen Reichtum in demselben unproduktiven Land aufgebaut hat. Ist das Opportunismus oder einfach nur ökonomisch rational?
Im Zuge der Krise ist die Forderung nach einer höheren Steuer für Reiche aktuell. Wie stehen Sie dazu?
Viele der von uns interviewten Multimillionäre stehen einem erhöhten Steuersatz prinzipiell aufgeschlossen gegenüber. Die Art und Weise, wie diese Appelle jedoch oft politisch in der Diktion des Klassenkampfs formuliert werden, ist problematisch. "Ich bin arm, weil du reich bist!" greift zu kurz, und das kommunistische Experiment Enteignung hat dies auch belegt. In einigen Gesprächen wurde auch deutlich, dass Steuerflucht oft deswegen gewählt wird, weil es an der Glaubwürdigkeit eines gesellschaftspolitischen Projektes mangelt. Die Wahl zwischen der Finanzierung eines offenbar korrumpierten öffentlichen Systems und einem Privatkonto im Ausland fällt dann meist nicht schwer.
Die Glaubwürdigkeit von Staat und Politik ist ein wachsendes Problem. Die gegenwärtige Krise ist bei weitem nicht mehr eine ökonomische, sondern längst eine moralisch-ethische. Es mag schon sein, dass ein paar Milliarden mehr vom reichsten Prozent unserer Mitbürger die Zinseslasten unserer Schulden besser bedienen. Aber warum zahlt der Staat für ein Geld Zinsen, dessen Wert er selbst garantiert? Warum beginnen wir nicht endlich, ein paar grundlegende Fragen zu klären: Wie kommt es, dass unser souveräner Staat sich verschulden muss, um an Geld zu kommen? Woher kommt unser Geld? Wieso liegt das Recht auf Geldschöpfung in den Händen Privater? Wir werden dieses Mal nicht darum herum kommen, diese Fragen ernsthaft zu untersuchen.
Sie haben das Verhalten des Präsidenten von Fiat, John Elkann, angesprochen. In der Wirtschaftskrise hat man stellenweise den Eindruck, dass Arbeitgeber die Situation ausnützen und ihre Kosten zu Ungunsten der Arbeitnehmer reduzieren, sprich: Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse steigern.
Die vertragliche und finanzielle Situation der Arbeitnehmer verschlechtert sich seit Jahrzehnten. Der Preiskampf schlägt von den Konsumgütern letztlich direkt auf die Gehälter durch. Ein Teufelskreis. Mit der Anbetung einer freien globalen Marktwirtschaft haben wir sämtliche sozialen Errungenschaften geopfert. Ernüchternd sind leider auch die Perspektiven. Schon die klassische Studie über "Die Arbeitslosen von Marienthal" (von Marie Jahoda und Paul Lazarsfeld, 1933, Anm.) hat gezeigt, wie Arbeitslosigkeit wenig solidarische Organisation, hingegen Resignation, Hilflosigkeit und sogar Scham hervorbringt. Die solidarischen Zusammenschlüsse gestalten sich oft fragil und sind auf die unmittelbaren Bedürfnisse gerichtet. Tragisch ist dabei, dass sich auch die Wahrnehmung der Betroffenen auf das unmittelbare Erleben reduziert. Auf der Suche nach Schuldigen für das persönliche Elend finden sich schnell die Anderen: der ausländische Nachbar oder gar ein Komplott seitens dunkler Mächte.
Sind Verschwörungstheorien wieder im Kommen?
Ja, und das hat objektive Gründe. Wer Macht hat, organisiert sich und kooperiert mit anderen Mächtigen. Denn wer Macht hat, hat auch viel zu verlieren. Türen werden verschlossen und lassen sich nur von innen öffnen. Dass dann hinter den verschlossenen Türen etwas geschieht, ist Teil der Verschwörung. Wer in unserer Gesellschaft hingegen wenig bis nichts besitzt, kämpft um das Wenige und kooperiert mit jenen, die mehr haben. Man richtet sich halt nach seinen Geldgebern. Zusammenarbeit unter den Mächtigen - und Wettstreit unter dem Rest. Was daraus resultiert, ist eine soziale Pyramide, die an der Spitze nahezu monolithisch ist und deren Basis im Treibsand steckt. Verschwörung liegt also gewissermaßen in der Logik dieses Systems. An der Basis der Pyramide ist man allerdings so sehr damit befasst, Oberwasser zu behalten, dass man das System nicht erkennen kann. Man spürt, dass etwas nicht passt. Vereinfachungen sind gefragt und bieten eine fruchtbare Basis für dunkle Phantasien. Diese Theorien nähren sich also aus einem systemischen Mangel an Transparenz und Information.
Das heißt, es ist in erster Linie ein Problem des Bildungsdefizits?
Und ein Problem des Prinzips der verschlossenen Tür! Die Verschwörungstheorien beinhalten Aussagen, die wie ein Schlüssel ins Schlüsselloch passen - auf Grund der dürftigen Information und einer oft dumpfen Medienberichterstattung. Wir befinden uns, wie Sie sagten, in der größten Wirtschaftskrise seit der Zwischenkriegszeit. Der Ursprung der Krise liegt jedoch nicht im Unbekannten, sondern im Unaussprechlichen. Erst vor kurzem war ich auf einer Tagung zur Finanzkrise eingeladen, und auf das Nachfragen eines Kollegen zur vergangenen und aktuellen Rolle von Goldman Sachs (der weltweit tätigen Investment Bank, Anm.) in der Krise brach ein aufgeregtes Gelächter unter den Kollegen aus.
Das gibt es zu denken. Vermutlich ist die Gesellschaft darüber zu informieren, dass wir als Wissenschafter mittlerweile weitgehend gleichgeschaltet sind. Es ist nicht zu erwarten, dass die öffentlichen und privaten Akademien nach Lösungen suchen, die im Interesse der Gesellschaft sind.
Es liegt in unserem Geldsystem, dass Geld sich dort mehrt, wo es sich bereits in Mengen befindet. Dies ist ein System, das nur für Wenige gut funktioniert. Insofern ist die Krise in ökonomischer und politischer Hinsicht auch eine Chance und läutet eine Veränderung ein. In Italien etwa bietet die politische Bewegung rund um Beppe Grillo Perspektiven, die positiv sind (die Protestbewegung "Cinque Stelle/Fünf Sterne" wurde bei den Kommunalwahlen d.J. mit Forderungen u.a. nach mehr Transparenz in der Politik in mehreren Städten Norditaliens und in Sizilien stärkste Partei, Anm.). Die Bewegung wird möglicherweise ein zweistelliges Ergebnis bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr erreichen.
Im Gegensatz dazu kommt in Griechenland zurzeit ein alter Rechtsfaschismus hoch. Aus langer, banger Angst vor Veränderung befindet sich in vielen Ländern mittlerweile eine erstaunliche geriatrische Versammlung an der Macht.
Heike Hausensteiner war Politik-Redakteurin der "Wiener Zeitung" (1996-2005) und schreibt nun für österreichische und deutsche Medien.
Zur Person<br style="font-weight: bold;" /> Tarek Josef el Sehity, 1971 in Wien geboren, untersucht soziale und kognitive Grundlagen des Wirtschaftslebens und lehrt am Institut für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie der Sigmund Freud Privat-Universität sowie am Institut für Wirtschaftspsychologie der Universität Wien. Das Projekt über "Die Psychologie des Geldes", an dem er seit zehn Jahren arbeitet, wird demnächst als Buch veröffentlicht.