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"Zwischen den EU-Beitrittsländern und Österreich gibt es derzeit Verhandlungen über bilaterale Werkvertragsabkommen", erklärt Angela Orsolits, EU-Expertin im ÖGB. Auf Basis dieser Abkommen könnten dann ausländische Subunternehmen mit ihren Arbeitskräften auch am heimischen Markt tätig werden.
Doch die Gewerkschaft beobachtet die Positionen der Verhandler, aber auch die daraus resultierende Praxis, mit Sorge. "Die schlechten Erfahrungen aus Deutschland zeigen, dass es trotz solcher Abkommen zu großen Spannungen unter den Arbeitnehmern kommt. Gründe sind ungleiche Entlohnung und fehlender arbeitsrechtlicher Schutz", so Orsolits gegenüber der "Wiener Zeitung". Denn den Tariflohn gebe es nur auf dem Papier.
Die deutsche IG Bau etwa knöpfte sich eine Reihe von Unternehmen vor, fand aber keine einzige Firma, welche die Tarifbestimmungen tatsächlich einhielt. "Die Arbeitgeber haben immer denselben Trick: Auf dem Papier wird eine Arbeitszeit von 7 bis 8 Stunden an je 5 Tagen vereinbart. Tatsächlich müssen die Bauarbeiter unter der Woche aber bis zu 14 Stunden und oftmals noch am Samstag arbeiten." Hinzu kommen überhöhte Abzüge für Unterkunft, Verpflegung, Heimfahrten und beschädigtes Arbeitsgerät.
Ein abgebrochener Spatenstiel kostete einen Arbeitnehmer beispielsweise 120 DM. Ein rumänischer Arbeiter erhält nach Abzug aller Spesen zwischen zwei und vier DM pro Stunde, Polen steigen mit durchschnittlich sieben DM vergleichsweise gut aus. Die so um ihren Verdienst geprellten Bauarbeiter würden sich stillschweigend ihrem Schicksal fügen. "Sie müssten ihre Rechte selbst einklagen. Doch wer tut sich das an?", fragt die EU-Expertin, "wenn die Löhne immer noch um einiges höher als daheim ausfallen."
Neben dem Lohndumping nennt Orsolits einen weiteren Schwachpunkt: "Bei vorübergehender Beschäftigung wird nichts in die deutsche Sozialversicherung eingezahlt." Der deutsche Arbeitsmarkt sei den Daten der IG Bau zufolge am Boden, Tarifverhandlungen seien kaum mehr möglich, und die Bauunternehmen hätten Know-How eingebüßt, weil sie nur mehr Billigstarbeitskräfte aufnähmen. Alleingelassen mit dem Problem blieben die 1000 Prüfkräfte. Auch die 250 österreichischen Arbeitsinspektoren wären in dieser Situation überfordert, fürchtet Orsolits.
"In Deutschland ist die Gewerkschaft soweit, die Abschaffung der Werkvertragskontigente zu verlangen", berichtet sie. Im Licht der deutschen Erfahrungen bewerten auch die heimischen Gewerkschaftsexperten die Werkvertragsabkommen als unzureichendes Instrument, um faire Bedingungen für alle Arbeitnehmer zu garantieren.