Über Politik bewusst zu sprechen, ist schwieriger als viele denken. Ein Gespräch mit der Kognitionsforscherin Elisabeth Wehling.
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Wien/Berkeley. Bewusst zu kommunizieren: Eigentlich, so sollte man vermuten, gerade für Politiker eine Selbstverständlichkeit. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Der Grund: Wir begreifen Fakten, Worte und Ideen nicht neutral, sondern eingebettet in einen von unserem Gehirn aktivierten Deutungsrahmen, Frame genannt (englisch für Rahmen, Sinnzusammenhang). Nicht Fakten bestimmen unser Handeln, sondern der jeweils im Kopf abgerufene Bedeutungsrahmen.
Die Bedeutung von Framing für die Politik liegt auf der Hand. Die "Wiener Zeitung" sprach dazu mit Elisabeth Wehling, einer der führenden Forscherinnen auf diesem Gebiet. Am Dienstag, 23. Februar, präsentiert sie ihr Buch "Politisches Framing - Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht" (edition medienpraxis, Köln 2016) mit Franz Fischler im Radiokulturhaus (18.30 Uhr, Argentinierstraße 30).
"Wiener Zeitung": Wie kommuniziert man richtig als politische Kraft?
Elisabeth Wehling: Indem man sicher stellt, dass die eigenen Wertevorstellungen authentisch, ehrlich und effektiv vermittelt werden. Politik muss sich immer darüber Rechenschaft ablegen, was ihre Anliegen sind und auf welchen Werten diese Anliegen beruhen. Sobald man sich darüber wirklich im Klaren ist, muss man es dann kommunizieren. Und das gelingt nur, wenn jede politische Bewegung mit ihren eigenen Sprachbildern arbeitet, solchen Bildern nämlich, die der eigenen Weltsicht entsprechen.
Aber ist dann Verständigung und Kompromiss möglich, wenn jede Gruppe ausschließlich in ihrer eigenen Sprachwirklichkeit lebt?
Es ist sogar die Voraussetzung für echte Verständigung! In dem Moment, in dem man sich kollektiv auf nur eine sprachliche Wirklichkeit beschränkt, reduziert man sich auf diese eine ideologische Perspektive. Verständigung, Kompromiss und Kooperation funktionieren nur, wenn jede Gruppe authentisch ihre eigene Sicht auf die Dinge argumentiert - und das bedeutet zwingend unterschiedliche Sprachbilder.
Wie gut gelingt uns das aktuell?
Mitunter nicht schlecht. In etlichen Bereichen dominieren konservative Zugänge, etwa, wenn es um Steuern, Arbeit oder die Flüchtlingsdebatte geht. Und es gibt Diskurse, die weder von links noch von rechts dominiert werden, sondern moralisch entkernt sind, etwa unsere Diskurse zum Umweltschutz. Hier sprechen wir von "Klimawandel", obwohl Wandel keine Verschlechterung impliziert, und von "globaler Erwärmung", obwohl das Sich-Erwärmen ein positives, emotionales Konzept ist. Hier fehlt es an Begriffen, die die moralische Dringlichkeit angesichts der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen vermitteln. In der Umweltpolitik wird oft Sprache genutzt, die weder eine linke noch eine rechte moralische Botschaft impliziert.
Der Begriff des "Waldsterbens" vermittelte sehr wohl Dringlichkeit.
Ja, das war ein starker Begriff. Allerdings wird auch hier nicht deutlich, wer der Verursacher ist. Dieser entscheidende Aspekt wird ausgeblendet, doch genau den hervorzuheben wäre bei der von Menschen verursachten Klimaveränderung notwendig.
Also wäre "Waldmörder" besser?
Ja, auch wenn "Mörder" vielleicht zu stark daher kommt, aber in genau diese Richtung müsste es gehen. Man könnte vom "Waldtöten" sprechen. Man muss den "Täter" mit einbeziehen, das wäre ein gelungenes Framing.
Wer ist der "Täter" bei der Debatte um Migration und Flüchtlinge?
Das ist die spannende Frage, weil hier unterschiedliche Vorstellungen bestehen. Vielen Politdebatten wohnt eine einfache moralische Erzählstruktur inne, in der es einen Täter oder Bösewicht, ein Opfer und einen Helden gibt, der das Opfer vor dem Bösewicht rettet. Dieses Narrativ gibt es nicht nur in Märchen, sondern auch im politischen Framing. In der Flüchtlingsfrage existieren zwei unterschiedliche moralische Geschichten: In der einen sind die Flüchtlinge die Täter, die uns Europäer als Opfer bedrohen; die Retter sind jene Parteien, die sich gegen die Flüchtlinge stellen. Diese Geschichte erzählt von einer Selbstverteidigung.
Und das alternative Narrativ?
Hier sind die Flüchtlinge die Opfer und die IS-Terroristen und syrische Armee die Täter. Als Retter agieren jene Staaten und Kräfte, die sich für den Schutz und die Aufnahme von Flüchtlingen stark machen. Diese Perspektive impliziert manchmal einen kognitiven Haken, weil manche den Westen nicht nur als Retter, sondern zugleich auch aufgrund seiner internationalen Politik als Mittäter begreifen. Übrigens sprechen wir kollektiv von der "Flüchtlingskrise", benennen also die Flucht als Krise. Wir sprechen nicht von der "Vertreibungskrise", was den Fokus auf die Verursacher legen würde, und auch nicht von der "Aufnahmekrise", womit die politische Herausforderung des Helfens in den Mittelpunkt rückte.
Eines der stärksten Sprachbilder war jedoch jenes von der "Willkommenskultur", von der wir uns jetzt angeblich wieder verabschieden. Warum hat sich dieser positiv besetzte Zugang nicht durchgesetzt?
Dieses Konzept war von Anfang an zu kurz gedacht: "Willkommen" zielt nur auf einen kurzen Moment der freundlichen Begrüßung ab, lässt aber offen, was dann geschehen soll. Der Frame kam über diesen Moment nie hinaus. Wenn es darum geht, was mit den Ankommenden jetzt geschehen, wie die Integration vonstatten gehen soll, dann kommt man mit diesem Begriff nicht weit.
Sie postulieren, dass die Idee vom rationalen Menschen ein Mythos sei. So gesehen würde jedes Wahlergebnis bloß den Triumph der jeweils effizienteren und professionelleren Manipulation der Bürger durch sprachliche Bilder der Parteien widerspiegeln.
Im Framing Manipulation zu sehen ist ein Missverständnis. Der Abgesang auf das rationale Denken rührt daher, dass die Kognitionsforschung festgestellt hat, dass Menschen Zahlen und Fakten nicht "an und für sich" denken können, sondern in interpretierende Muster einbetten. Und gerade für die Politik gilt, dass man Fakten auf unterschiedliche Weise interpretiert; erst so kommt es ja, dass sich ideologisch unterschiedliche Gruppen demokratisch streiten. Wer dann seine ideologischen Deutungsrahmen sauber und ehrlich kommuniziert, der manipuliert die Bürger nicht, sondern ermöglicht es ihnen erst, die ideologische Grundlage seiner Politik zu verstehen. Wer es versäumt, seine Sicht auf die Dinge gedanklich zu durchdringen und dann zu kommunizieren, und vielleicht sogar noch die Sprachbilder seiner Gegner übernimmt, der argumentiert sich geradewegs aus der Demokratie hinaus in eine einseitige Debatte.
Die Linke hat sich den Neoliberalismus als Lieblingsfeind auserkoren: Ist das kontraproduktiv, weil der Begriff eigentlich aus dem rechten Lager stammt, oder wurde er erfolgreich uminterpretiert?
Hier ist es linken Kräften tatsächlich gelungen, dem Begriff "neoliberal" eine negative Bedeutung anzuhaften; umgekehrt haben es die Rechten geschafft, den Begriff des "Gutmenschen" als abwertendes Konzept für linkspolitische Kräfte zu etablieren. Sprache kann diffamieren, das sehen wir auf allen Seiten. Geschieht dies aus ehrlicher Sorge oder moralischer Empörung heraus - weil man die Vorschläge des Gegners als gravierend negativ beurteilt -, dann sollten man nicht Beschimpfungen nutzen, sondern solche Begriffe, die die eigene moralische Bewertung der Situation deutlich machen. Der Begriff des "Gutmenschen" funktioniert zum Beispiel deshalb so gut, weil damit die - aus rechter politischer Sicht berechtigte - Sorge ausgedrückt wird, dass Gemeinschaften verweichlicht werden, wenn man sich zu sehr um die Menschen kümmert und ihnen zu viel Hilfe zukommen lässt. Der Begriff "neoliberal" ist dagegen fast schon neutral, da könnte die Linke ruhig noch ein bisschen nachlegen.
"Kaputtsparen" ist auch ein linker Kampfbegriff gegen eine vermeintlich verfehlte Austerität, dabei ist "sparen" eine bürgerliche Tugend.
Das stimmt nicht ganz, "Sparsamkeit" ist kein konservativer Wert, allerdings ist Selbstdisziplin ein zentraler Wert der konservativen Ideologie, und Sparen hat natürlich mit Selbstdisziplin zu tun. Ich halte den Frame des "Kaputtsparens" übrigens für misslungen, weil er nicht energisch genug ausdrückt, was aus linker Sicht das moralische Problem der Sparpolitik ist.
Sie sagen, je politischer ein Mensch ist, desto anfälliger ist er für politisches Framing. Die Frage ist: als Täter oder als Opfer?
Ich sehe Framing nicht als eine Frage von Tätern und Opfern. Es geht darum, bewusst zu kommunizieren. Jemand, der viel über Politik nachdenkt, wird stärker und schneller von politischen Frames beeinflusst, denn er kann unterschiedliche Perspektiven gedanklich schneller nachvollziehen und schneller in sie eintauchen - letzteres ist dabei in der Regel ein unbewusster Prozess.
Sie forschen über ein besseres Verständnis von politischer Kommunikation. Dieses Wissen wird gerade von Populisten aller Art am geschicktesten angewendet. Womöglich leistet Ihre Forschung einen Beitrag, der die zentrifugalen Kräfte unserer Demokratie stärkt?
Die Wissenschaft hat die Verpflichtung, ihre Erkenntnisse an die Gesellschaft weiterzugeben, insbesondere, wenn diese Erkenntnisse Grundlagen des menschlichen Denkens und Handelns betreffen. Wie die Politik mit diesen Ergebnissen umgeht, das liegt nicht in unserem Einflussbereich.
Welche politischen Kräfte sind denn aktuell die besten Nutzer des Framing-Konzepts?
Pauschal kann man das nicht sagen, aber natürlich ist es keine große Neuigkeit, dass die Rechtspopulisten beim Flüchtlingsthema besonders geschickt framen. Der Rechtspopulismus ist derzeit sehr sprachmächtig, seine Bilder sehr wirkungsvoll. Allerdings machen viele politische Kräfte es dem Rechtspopulismus auch besonders leicht.
Wie sollten denn die Medien über das Flüchtlingsthema berichten, ohne Populisten in die Hände zu spielen?
Man sollte besonnen umgehen mit Begriffen wie "Flüchtlingskrise" und Alternativen wie "Vertreibungs-" oder "Aufnahmekrise" in Erwägung ziehen, wo es darum geht, die Ursachen der Situation oder die Probleme bei ihrer Lösung zu benennen.
So gesehen müsse man korrekterweise von "Abwehrkrise" sprechen, weil praktisch alle Kräfte die Zahl der ankommenden Flüchtlinge massiv beschränken will.
Wenn das wirklich das kollektive Ziel sein sollte, wäre das der richtige ideologische Frame, ja. Allerdings würden das wohl nicht alle Parteien unterschreiben.
Zur Person
Elisabeth Wehling
geb. 1981 in Hamburg, Studium der Soziologie, Linguistik und Journalistik; politische Werte-, Sprach- und Kognitionsforschung sind ihre Schwerpunkte. Wehling lebt und forscht an der University of California, Berkeley.