Nach dem Nein in Frankreich können weder die Europäische Kommission noch die Luxemburger Ratspräsidentschaft eine gewisse Planlosigkeit verbergen. Diese wird als Niedergeschlagenheit getarnt. Erneut setzt Brüssel - mit Blick auf das bevorstehende Referendum in den Niederlanden - auf Durchhalteparolen. Der Ratifizierungsprozess müsse fortgesetzt werden. Wie der Vertrag jedoch je in Kraft treten soll, weiß noch niemand.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Eigentlich ist der Fall klar. "Der Vertrag über eine EU-Verfassung muss von allen 25 Mitgliedsstaaten ratifiziert werden", bestätigte ein Sprecher der Kommission am Montag ausdrücklich. Und das wird kaum mehr möglich sein: Besonders das sehr deutliche Nein der Franzosen hat überrascht. Und damit das Ende einer historischen Einigung auf ein Vertragswerk zwischen 25 europäischen Regierungen.
Die EU sollte effizienter, schlanker und auch nach der fortschreitenden Erweiterung handlungsfähiger gemacht werden. "Das haben wir den Franzosen offensichtlich nicht genug erklären können", gibt die Sprecherin von Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso zu. Sonst sei jetzt nicht die Zeit für Schuldzuweisungen. Einig seien sich alle: Es gäbe "viele Gründe", für die Niederlage der EU in Frankreich. Und die meisten haben gar nichts mit Brüssel zu tun, heißt es konsequent aus der Kommission hinsichtlich der innenpolitischen Probleme der Regierung von Präsident Jacques Chirac.
Der Blick müsse in die Zukunft gerichtet werden. Die Ratifizierung müsse in den anderen Ländern fortgesetzt werden, hatte bereits am späten Sonntagabend der Luxemburger Premier und amtierende Ratspräsident Jean-Claude Juncker erklärt. Dem schloss sich die Kommission an. "Die Verfassung ist nicht tot", zeigte sich Juncker überzeugt. Alle Hoffnung ruht nun auf der so genannten "Erklärung 30" im Anhang des Vertragsentwurfs: "Die Konferenz stellt fest, dass der Europäische Rat befasst wird, wenn nach Ablauf von zwei Jahren nach der Unterzeichnung des Vertrags über eine Verfassung für Europa vier Fünftel der Mitgliedstaaten den genannten Vertrag ratifiziert haben und in einem Mitgliedstaat oder mehreren Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bei der Ratifikation aufgetreten sind."
Nicht verbindlich
Waren also bis Herbst 2006 zumindest 20 EU-Länder erfolgreich, sollen spätestens dann die Staats- und Regierungschefs eine Lösung finden. Allerdings handelt es sich dabei im Gegensatz zur erforderlichen Ratifizierung durch alle Mitgliedsstaaten nicht um eine rechtlich verbindliche, sondern lediglich um eine politische Erklärung, erläuterte ein Kommissionssprecher.
Sicher sei jedoch, dass der Vertrag nicht nachverhandelt werde, hieß es. Dazu könne er bei den Regierungen der Mitgliedsstaaten nicht "den Willen und die geringste Bereitschaft" erkennen, erklärte Barroso. Außerdem sei aufgrund der höchst unterschiedlichen Anliegen der Verfassungsgegner eine Stoßrichtung etwaiger Änderungen nicht erkennbar. "Wenn wir etwa den Text im Sinne des (extrem rechten) Jean-Marie Le Pen änderten, würde er überall anders zurück gewiesen", spitzte es Juncker zu. Eine zweite Abstimmung über denselben Text hält er zwar grundsätzlich für möglich. Aufgrund der klaren Absage der Franzosen wird dieser Variante jedoch wenig Aussicht auf Erfolg bescheinigt.
Brüssel rückt zusammen
Der Schreck über die dermaßen deutliche Ablehnung der Franzosen ließ die politischen Akteure in Brüssel zusammenrücken. In einer gemeinsamen Erklärung mit Parlamentspräsident Josep Borrell bedauerten sie die Niederlage. "Das Ergebnis bedarf einer tiefen Analyse zunächst von Seiten der französischen Regierung", heißt es weiter.
Man dürfe jedoch nicht außer acht lassen, dass bereits neun Mitgliedsstaaten, die nahezu die Hälfte der europäischen Bevölkerung repräsentieren, die Verfassung bereits ratifiziert haben. Allerdings hat dies nur in Spanien per Referendum stattgefunden.
Die EU sei noch aus jeder Krise verstärkt hervorgegangen, versuchte Barroso Mut zu machen. Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner will indes nicht einmal von einer Krise sprechen. Wünsche nach einem engeren Zusammenhalt und nach mehr Stärke der Union nach außen hätten durch die Ablehnung der Verfassung aber einen "Rückschlag" erhalten. Nach einem "Moment des Innehaltens" werde man gemeinsam mit Chirac und den anderen europäischen Staats- und Regierungschefs das Ergebnis des Referendums durchleuchten. Erst am Ende des Ratifizierungsprozesses in allen 25 Mitgliedsstaaten werde man sehen, "welche Möglichkeiten gegeben sind. Man kann heute noch nicht sagen, wie es weitergeht".