Zahl der Personen in Bildungskarenz hat sich seit 2008 mehr als vervierfacht. | Identitätskrise droht, weil sich viele über Job definieren. | Wien. "Ich wollte meinen Uni-Abschluss schon länger fertig machen. Als mein Arbeitgeber dann Mitarbeiter abbauen musste und mir einen Golden Handshake mit Bildungskarenz angeboten hat, habe ich zugesagt", erzählt eine ehemalige Führungskraft eines großen heimischen Unternehmens.
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Seit einem Jahr ist der 41-Jährige in Bildungskarenz und schreibt gerade an seiner Abschlussarbeit. Alle großen Firmen würden die Bildungskarenz als Kündigung auf Raten nutzen, ist der Wiener überzeugt.
Auch wenn einige Betriebe offenbar die Auszeit zum Personalabbau nutzen - normalerweise sieht die Bildungskarenz vor, dass der Mitarbeiter im Unternehmen weiterarbeitet. Einige Betriebe schickten Facharbeiter während der Bildungskarenz in Kurse, um sie an den Betrieb zu binden und gleichzeitig die Personalkosten einzudämmen. Bei dieser sogenannten Bildungskarenz Plus tragen die Kosten der Weiterbildung das Unternehmen und das Land - im Gegensatz zur herkömmlichen Form der Bildungskarenz, bei der die Initiative vom Mitarbeiter ausgeht. Eines gilt für beide Formen: "Die Mitarbeiter können in der Auszeit ihren Marktwert verbessern", wie AMS-Arbeitsmarktexperte Horst Friedrich sagt.
Nach einer Lockerung der Zugangsvoraussetzungen zur Bildungskarenz 2008 wurden die Regelungen per August 2009 noch einmal hinunter geschraubt. Das machte das Modell attraktiver: Waren im Jahresschnitt 2008 nur 1551 Personen in Bildungskarenz, so hat sich die Zahl im Vorjahr verdreifacht.
Ende April 2010 waren 7114 Personen in Bildungskarenz, 171 weniger als Ende März, wie am Montag veröffentlichte Zahlen zeigen. Friedrich rechnet damit, dass die Zahlen mit den wieder verschärften Zugangsvoraussetzungen ab 2012 zurückgehen, aber noch über dem Niveau von 2008 liegen werden.
Rund ein Drittel Bildungskarenzbezieher stammen aus der Industrie, gefolgt von Gesundheits- und Sozialberufen, Handel und Kfz, freiberuflichen und technischen Berufen sowie Beamten. Bis zu Krisenbeginn nahmen überwiegend Frauen die Auszeit in Anspruch, derzeit sind es mehrheitlich Männer.
Genehmigt werden nur Bildungsmaßnahmen, die auch beruflich verwertet werden können - also keine Hobby- oder Selbstfindungskurse. Dass die Weiterbildung auch dem Arbeitgeber nützt, sollte man dem Chef klarmachen. Denn der Arbeitgeber muss der Auszeit zustimmen, einen gesetzlichen Anspruch auf Bildungskarenz gibt es nicht. Der Arbeitnehmer sollte früh genug das Gespräch mit dem Chef suchen - besonders in einer kleinen Firma, wo es wenig Ersatz gibt, sagt Auszeit coach Christa Langheiter.
Neid aus dem Umfeld
Hat man sich in die Bildungskarenz verabschiedet, fällt es oft schwer, mit der plötzlich vorhandenen Zeit zurechtzukommen: "Viele haben verlernt, ihre Zeit zu gestalten, weil ihnen normalerweise der Job die Planung vorgibt. Manche planen hingegen in der Karenz ihre ganze Zeit durch, genauso wie in der Arbeit", sagt Langheiter. Wie viel Struktur man braucht, müsse jeder für sich selbst herausfinden. Und auch mit weniger verfügbarem Geld muss man umgehen lernen.
Eine Herausforderung sei die eigene Identität: "Wir definieren uns meistens über unsere berufliche Identität. Fällt diese weg, nimmt das etwas vom Selbstverständnis." Dazu kommen oft Unverständnis und Neid aus dem Umfeld.
Auch der 41-Jährige hatte mit seinem Umfeld zu kämpfen: "Kollegen beneiden meinen Mut zur Veränderung, die würden sich das selbst nicht trauen." Von Familie und Bekannte bekam er Unterstützung. "Auch wenn es manche nicht verstehen - ich bereue meinen Entschluss nicht", sagt er rückblickend. Für den Wiedereinstieg in einer neuen Firma erwartet er sich eine vergleichbare Position.
Viele Arbeitnehmer fürchten Bildungskarenz jedoch als Karrierbremse, denn es gibt weder ein Recht auf die gleiche Position noch einen Kündigungsschutz. AK-Rechtsexpertin Ulrike Gollonitsch-Gehmacher rät, vor Antritt der Karenz mit dem Arbeitgeber schriftlich zu vereinbaren, dass man während der Dauer der Karenz nicht gekündigt wird. Bei einer Kündigung darf die Bildungskarenz nicht der Grund sein, sonst ist die Kündigung anfechtbar.
Wird man während der Karenz gekündigt, kann der Arbeitnehmer seine Weiterbildung bis zum vereinbarten Ende durchziehen. Vorher abbrechen muss man bei einer einvernehmlichen Kündigung oder man wenn selbst kündigt, so die AK.
Wissen: Bildungskarenz
(sf) Von August 2009 bis Ende 2011 gelten gelockerte Voraussetzungen für die Bildungskarenz: Wird in diesem Zeitraum Bildungskarenz vereinbart, kann der Arbeitnehmer bereits nach einer ununterbrochenen Beschäftigung von 6 Monaten die Fortbildungsauszeit nehmen - statt wie bisher nach 12 Monaten. Für Saisonbeschäftigte gelten eigene Regelungen. Die Bildungskarenz kann für mindestens zwei Monate und maximal ein Jahr vereinbart werden, wobei die Karenz auch in Teilen innerhalb von vier Jahren absolviert werden kann.
Während der Karenz bekommt der Mitarbeiter vom Arbeitsmarktservice (AMS) Weiterbildungsgeld in der Höhe des fiktiven Arbeitslosengeldes, mindestens aber 14,53 Euro pro Tag. Außerdem ist man kranken-, unfall- und pensionsversichert. Nachzu-weisen ist die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen von mindestens 20 Wochenstunden (inklusive Lernzeiten). Bei Eltern, die Kinder unter sieben Jahren betreuen müssen, sind es nur 16 Wochenstunden.