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Tauwetter in Südostasien

Von WZ-Korrespondent Felix Lill

Politik

Zwischen Japan und Südkorea herrschte wegen der Kolonialvergangenheit lange Streit. Nun soll es einen Neustart geben.


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Es zerreiße ihm das Herz, zu wissen, dass die Menschen in Korea unter der Kolonialherrschaft seines Landes sehr gelitten haben, sagte der japanische Premierminister Fumio Kishida gleich unmittelbar nach seinem Eintreffen in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Damit waren schon zu Beginn des Besuchs die Wogen ein großes Stück weit geglättet. Von 1910 bis 1945 war Korea eine japanische Kolonie gewesen, Koreanerinnen und Koreaner arbeiteten damals unter Zwang in der Industrie, der Prostitution und anderswo. Und diese Geschichte hat die zwei Länder immer wieder gegeneinander aufgebracht.

Jetzt aber soll alles anders werden. "Wir können es nicht zulassen, dass uns Geschichtsstreitigkeiten davon abhalten, gemeinsam Schritte in die Zukunft zu unternehmen", sagte Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol bei seinem gemeinsamen Auftritt mit Kishida. Der wiederum entgegnete: "Es bewegt mich, dass Sie Ihr Herz für eine gemeinsame Zukunft geöffnet haben, ohne die schmerzhaften Erinnerungen an die Vergangenheit zu vergessen." Dann schüttelten sich Yoon und Kishida Hände und lächelten in die Kameras.

Misstrauen und Boykott

Das Foto des Handschlags prangte am Montag in praktisch jeder Tageszeitung Südkoreas und Japans auf der Titelseite. Von einem historischen Gipfel ist die Rede. Denn es ist das erste Mal seit zwölf Jahren, dass sich die Regierungschefs der zwei zerstrittenen Staaten einander gegenseitig eingeladen haben. Im März hatte Kishida den Südkoreaner Yoon in Japan empfangen.

In den fünf Jahren davor waren die Beziehungen der zwei größten demokratischen Industrienationen Asiens dagegen ausgesprochen frostig gewesen. In einer Kette von Aktion und Reaktion hatten sich Japan und Südkorea gegenseitig das Vertrauen abgesprochen, die Sicherheitskooperation eingeschränkt und Handelsbarrieren auferlegt.

Hintergrund war dabei nicht zuletzt ein Richterspruch in Südkorea gewesen, der verlangte, dass die japanischen Unternehmen Nippon Steel und Mitsubishi Heavy Industries Entschädigungen an Zwangsarbeiter aus der Kolonialzeit leisten. Die japanische Seite lehnte dies mit dem Argument ab, dass alle Streitigkeiten bereits mit einem bilateralen Vertrag von 1965 abgegolten seien. In Südkorea begannen daraufhin Boykotte japanischer Produkte, das Handelsvolumen nahm ab, die Regierungen sprachen nicht mehr miteinander.

Nun aber sind beide Seiten zu Konzessionen bereit. Yoon Suk-yeol hat angekündigt, dass die Entschädigungszahlungen von einer durch die südkoreanische Regierung aufgesetzten Stiftung geleistet werden. Kishida dagegen hat versichert, koreanische Experten dürfen die Atomruine in Fukushima inspizieren, um die Vorkehrungen zu untersuchen, unter denen dort verarbeitetes Kühlwasser in den Ozean geleitet wird. Diese Praxis wird von Japans Nachbar Südkorea seit Jahren als unsicher kritisiert.

Ein weiteres Ergebnis der Annäherung ist der erneute Austausch sicherheitspolitischer Informationen. So könnten die Folgen dieser neuen Freundschaft durchaus weitreichend sein. Schließlich teilen beide Staaten nicht nur die liberale Demokratie als Staatsform, sondern auch die USA als ihren jeweils wichtigsten Sicherheitspartner.

Die Regierung in Washington ist es auch gewesen, die immer wieder Druck auf Tokio und Seoul ausgeübt hat, um die beiden Länder zu Kompromissen zu bewegen. Denn die Sicherheitslage in der Region ist so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der russische Überfall auf die Ukraine hat die Sorge geschürt, dass China dem Beispiel Moskaus folgen könnte und seinen Drohungen gegen Taiwan schon bald Taten folgen lässt. Gleichzeitig hat Nordkorea, das seit Jahren immer wieder Raketentests durchführt, die Schlagzahl im vergangenen Jahr deutlich erhöht.

Wechsel an der Spitze

Dass es zwischen den beiden Staaten, die auf kultureller und touristischer Ebene schon seit Jahren einen sehr regen Austausch pflegen, nun auch eine politische Annäherung gibt, liegt nicht zuletzt an den handelnden Personen. In Japan regiert mit Fumio Kishida seit eineinhalb Jahren ein konservativer Politiker, der in seiner Beziehung zu Südkorea weniger nationalistisch eingestellt ist als sein Vorgänger Shinzo Abe, unter dessen Ägide der Streit eskaliert war. In Südkorea sind in Gestalt von Yoon Suk Yeol seit einem guten Jahr ebenfalls wieder die Konservativen an der Macht, die im Gegensatz zur davor regierenden Demokratische n Partei einen stärkeren Fokus auf gute Beziehungen zu Japan legen. Hinzu kommt der G7-Gipfel, der in eineinhalb Wochen in Hiroshima stattfindet. Gastgeber Japan will sich hier als gewichtiger Fürsprecher einer regelbasierten, multilateralen Weltordnung präsentieren. Hierzu ist nun auch Südkorea eingeladen, das in dieser Sache als Verbündeter gilt.

Die neue Annäherung hat allerdings nicht nur Befürworter. Kritische Stimmen sind vor allem aus Südkorea zu hören. Politiker der Demokratischen Partei sehen in der Einigung "unterwürfige Diplomatie." Schließlich habe Japan bis heute nicht ausdrücklich für diverse Kolonialverbrechen um Vergebung gebeten. Auch NGOs fordern eine weitere Aufarbeitung der Geschichte. Von den Klägern, die als ehemalige Zwangsarbeiter Entschädigungen gefordert haben, hat aber zumindest einer bereits signalisiert, die jetzige Lösung akzeptieren zu wollen.