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Tauwetter zwischen Belgrad und Zagreb

Von WZ-Korrespondentin Marijana Miljkovic

Politik

Präsidenten versichern einander Unterstützung bei Lösung offener Fragen.


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Belgrad. Ein Wiederanfang ist gemacht: Alles andere als herzlich, aber sachlich war der Empfang für Kroatiens Präsidenten Ivo Josipovic am Mittwoch in Belgrad. Serbiens Staatschef Tomislav Nikolic und sein Gast schickten sich an, Unstimmigkeiten aus der Vergangenheit nicht zu großen Raum zu geben. Zumindest verbal kam man sich entgegen: "Josipovic und ich versichern den beiden Regierungen die volle Unterstützung bei der Lösung offener Fragen", sagte Nikolic.

Diese Aussage ist bereits ein großer Fortschritt gegenüber dem angespannten Verhältnis zwischen den beiden Staaten nach dem Amtsantritt von Nikolic. Er vergrämte Kroatien, sagte, dass das ostkroatische Vukovar eine serbische Stadt sei und Kroaten dorthin nicht zurückzukehren bräuchten. Daraufhin schlug Josipovic, der mit Nikolic’ Vorgänger Boris Tadic ein freundschaftliches Verhältnis gepflegt hatte, im Mai des Vorjahres die Tür zu Serbien alles andere als sanft zu.

"Unsere Beziehungen sind durch zahlreiche Probleme belastet", sagt Josipovic nun euphemistisch. Aus Angst, dass die jüngste Geschichte neu geschrieben werden könnte, wurde deren Aufarbeitung sorgfältig gemieden. So wird in Kroatien ungern darüber geredet, dass Staatsgründer Franjo Tudjman mit dem serbischen Autokraten Slobodan Milosevic Bosnien und Herzegowina teilen wollte. Serbien will sich nicht die alleinige Schuld am Krieg geben lassen.

Diese Sichtweisen werden durch die gegenseitigen Genozidklagen aufrechterhalten. Kroatien wirft Serbien in einer Klage, die es 1999 beim Internationalen Gerichtshof einreichte, Völkermord vor. Serbien reagierte elf Jahre später mit einer Gegenklage. Justizexperten geben den Klagen keine Chance, doch an Rückzug denken beide Seiten derzeit nicht. Kroatiens Regierung hatte diesen Schritt in den vergangenen zwei Jahren zumindest erwogen, unter der Voraussetzung, dass die Frage der Vermissten, die Rückgabe von kroatischem Eigentum und von Kunstschätzen gelöst würden. Wie aussichtslos die Klage ist, zeigt die Genozidklage Bosnien-Herzegowinas: Das Gericht in Den Haag sprach Serbien 2007 für den Genozid in Srebrenica, bei dem etwa 8000 Männer und Buben ermordet wurden, frei. Die kroatische Regierung habe noch keinen Beschluss über eine eventuelle Rücknahme der Klage gefasst, sagte Josipovic nach dem Gespräch mit Nikolic.

Genozidklage noch aufrecht

Von einem "revisionistischen Zugang zur Geschichte", die in Kroatien in den 1990er Jahren eingesetzt habe, spricht der kroatische Historiker Hrvoje Klasic. Der Fehler sei, dass man nach dem Krieg einen Neustart gemacht habe und damit automatisch alles, was davor war als "schlecht" abqualifiziert habe. "Es gab keine Nuancen, alles ist schwarz-weiß, oder wenn man es so will, schwarz-rot", erklärt Klasic.

Der zögerliche Umgang mit den Problemen führt dazu, dass die Kriegstraumata immer wieder hochkommen. Der Fall Vukovar, der Stadt im Osten Kroatiens, zeigte deutlich, wie dieses Versäumnis durch politische Instrumentalisierung zu einem Ausnahmezustand führen kann.

In der knapp 28.000 Einwohner zählenden Stadt leben laut Volkszählung mehr als ein Drittel Serben, laut Verfassung muss daher Zweisprachigkeit eingeführt werden. Allein schon die Ankündigung der Regierung, Schilder in zwei Schriften und Sprachen einzuführen, löste Tumulte aus. In Vukovar gingen die Gegner des Kyrillischen, angeführt von einem "Rat für die Verteidigung eines kroatischen Vukovar", auf die Straße. Als die Schilder schließlich auf einige Amtsgebäude angebracht wurden, löste das den kroatischen Amtstafelsturm aus: Die Menschen zerschlugen die Tafeln mit Hämmern und rissen sie von den Mauern. Vergangene Woche wurden die wieder angebrachten Tafeln erneut entfernt. Polizisten, deren Aufgabe es eigentlich war, die Schilder zu bewachen, sahen weg, als einer ihrer Kollegen zur Tat schritt.

Danach machte sich Unruhe in den Regierungsreihen bemerkbar, denn es wurde klar, dass Zagreb nichts tun konnte, um die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. Auch in anderen Städten wurden zweisprachige Schilder entfernt, wobei die Nationalisten auch dort nicht haltmachten, wo die Zweisprachigkeit auch von den rechten Parteien, die in Vukovar gegen die Zweisprachigkeit auftreten, akzeptiert worden war; etwa in Udbina, das von der rechtskonservativen HDZ und der serbischen Partei SDSS regiert wird. Die Regierung erschien gegenüber dem "Rat" wie ein Bittsteller, nachdem deren Anführer Tomislav Josic zwei Mal einen Gesprächstermin mit Premier Zoran Milanovic ausgeschlagen hatte. Davor hatte Milanovic keinen Dialogbedarf gesehen und Gesprächstermine mit Präsident Josipovic und den Kyrillisch-Gegnern abgelehnt.

"Zweites Massaker"

HDZ-Chef Tomislav Karamarko bezeichnete die Einführung von Kyrillisch in Vukovar als "zweites Massaker". Der Vertreter der serbischen Minderheit im kroatischen Parlament Milorad Pupovac reagierte alarmiert auf diese Äußerungen und warnte die Politiker, nicht "mit dem Feuer zu spielen". Heute, Donnerstag, will Milanovic den "Rat" in Vukovar treffen, was taktisch nicht unüberlegt erscheint. Am Freitag begeht Vukovar den 22. Jahrestag seines Falls, der die Stadt vollkommen zerstört und entvölkert zurückließ. Jährlich versammeln sich dort tausende Menschen, um der tragischen Ereignisse des Jahres 1991 zu gedenken.

Josipovic und Nikolic brachten Vukovar bei ihrem Treffen nicht explizit zur Sprache. Für die Annäherung mit den Nachbarn, hauptsächlich mit seiner ehemaligen Provinz Kosovo, die es nicht anerkennt, wurde Serbien am Mittwoch von der EU-Kommission ausdrücklich gelobt. Serbien wird voraussichtlich im Jänner kommenden Jahres das Datum für den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen erhalten.