Zum Hauptinhalt springen

Tauziehen um den Erben Berlusconis

Von Rainer Mayerhofer

Europaarchiv

Dramatische Einbrüche der Börsenkurse begleiten Italiens Krise.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Rom. Während die Börsenkurse auch nach der Rücktrittsankündigung Silvio Berlusconis dramatisch einbrechen und der Spread (die Zinsspanne) der italienischen Staatspapiere gegenüber den deutschen die kritische 500-Punktegrenze erheblich überschritten hat - am Nachmittag lag der Wert bei 560 Punkten -, beginnt in Rom der Kampf um die Berlusconi-Nachfolge.

In seinem Gespräch mit Staatspräsident Giorgio Napolitano hatte Berlusconi am Dienstagabend angekündigt, dass er zurücktreten werde, sobald das Maßnahmenpaket zur Schuldeneindämmung, zu dem sich seine Regierung gegenüber der EU verpflichtet hat, im Parlament beschlossen ist. Zum Rücktritt hatte sich Berlusconi durchgerungen, nachdem nur 308 Abgeordnete - die absolute Mehrheit im Abgeordnetenhaus liegt bei 316 - der Verabschiedung des Rechenschaftsberichts für das Jahr 2010 zugestimmt hatten. Die Verabschiedung war nur möglich geworden, weil sich die Opposition geschlossen der Stimme enthalten hatte. Auch elf Abgeordnete von Berlusconis Partei hatten an der Abstimmung nicht teilgenommen.

Berlusconi brandmarkt "Verräter" aus seiner Partei

Am Mittwoch wiederholte Berlusconi seine Angriffe gegen seine ehemaligen Parteifreunde, die er erneut als "Verräter" bezeichnete. "Ich bin von Personen verraten worden, die ich ein Leben lang in meinem Herzen trug", sagte Berlusconi und stellte besonders den ehemaligen Regionalpräsidenten von Friaul, Roberto Antonione, in die Auslage, der sich vor kurzem mit fünf anderen Parteikollegen von Berlusconi losgesagt und ihn zum Rücktritt aufgefordert hatte. "Ich bin der Pate seiner Tochter und er verrät mich. Ich kann meinen Augen nicht glauben."

In einem Interview mit dem Chefredakteur der Turiner Zeitung "La Stampa" verglich sich Berlusconi mit Benito Mussolini: "Ich habe ein Buch mit den Briefen Mussolinis an Claretta (Petacci, die Geliebte des Duce, Anm.) gelesen, wo er an einem bestimmten Punkt sagt: ,Aber verstehst Du nicht, dass ich nichts zähle. Ich kann nur Empfehlungen geben. Ja, und so fühle ich mich auch."

Die Opposition hat am Mittwoch ihre Bereitschaft erklärt, das Sparpaket, von dessen Verabschiedung Berlusconi den Zeitpunkt seines Rücktritts abhängig macht, möglichst rasch auf die Reise zu schicken. Angesichts der alarmierenden Nachrichten von den Finanzmärkten - die Rendite für die Staatsanleihen mit zehnjähriger Lauffrist übersprang erstmals seit der Euro-Einführung die Marke von sieben Prozent - haben die Fraktionschefs der Opposition im Senat ihre Bereitschaft erklärt, das Stabilisierungsgesetz so rasch wie möglich anzunehmen. Das Gesetz könnte somit im Senat schon am kommenden Montag verabschiedet werden.

Da die Verabschiedung des Sparpakets in beiden Kammern des italienischen Parlaments noch einige Wochen in Anspruch nehmen könnte, dürfte Berlusconi nach Ansicht aus Regierungskreisen noch bis Dezember im Amt bleiben.

Oppositionschef Pierluigi Bersani kündigte eine genaue Überprüfung des Stabilitätsgesetzes mit Reformen zur Schuldeneindämmung an. "Obwohl wir grundsätzlich dagegen sind, werden wir für eine rasche Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes sorgen, um die politische Wende in Italien zu ermöglichen", kündigte er an.

Premier schließt Notstandsregierung aus

Wie diese Wende aussehen wird, darüber wird noch heftig gerungen. Obwohl die Entscheidung darüber, wer nach Berlusconis Rücktritt mit der Regierungsbildung beauftragt wird, allein beim Staatspräsidenten liegt, hat Berlusconi schon seine Linie vorgegeben. Er schloss eine Notstandsregierung bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2013 aus und meinte in einem Interview mit seinem TV-Sender "Canale 5", dass es nach ihm nur vorgezogene Parlamentswahlen geben könne.

Berlusconi macht auch kein Hehl daraus, dass er seine rechte Hand, den früheren Justizminister Angelino Alfano, der seit Ende Juli den neugeschaffenen Posten eines Generalsekretärs der Regierungspartei Popolo della Liberta (PdL - Volk der Freiheit) bekleidet, als seinen Nachfolger sieht. Alfano soll auch als Spitzenkandidat in die Neuwahlen gehen, die im Februar stattfinden könnten und bei denen er nicht wieder antreten werde, sagte Berlusconi.

In einem Treffen mit Parteifreunden unmittelbar nach der Abstimmungspleite im Abgeordnetenhaus hatte Berlusconi noch gehofft, dem Präsidenten gemeinsam mit seinem Rücktrittsangebot auch gleich einen möglichen Nachfolger präsentieren zu können. Neben Alfano waren auch noch sein Kabinettsminister Gianni Letta und Senatspräsident Renato Schifani im Gespräch. Doch Letta, der Berlusconi auf seiner Fahrt zum Präsidenten ins Quirinal begleitete, betonte, dass er nicht zur Verfügung stehe, und bezweifelte auch, ob Berlusconi mit seinem Plan bei Napolitano durchdringen werde.

Staatspräsident Giorgio Napolitano versprach unmittelbar nach der Unterredung mit Berlusconi bei einem Empfang für Künstler ein rasches Handeln in der politischen Krise. Italien erlebe eine schwierige Phase und müsse Glaubwürdigkeit und Vertrauen zuückgewinnen. Um aus der kritischen und alarmierenden Lage herauszukommen, müssten auch viele Sperren und alte Tabus fallen, sagte der Präsident.

Napolitano gab Berlusconi in seiner Unterredung am Dienstagabend deutlich zu verstehen, dass er nach dessen Demission Konsultationen mit allen Parteien aufnehmen wird, sowohl mit jenen, die 2008 die Wahlen gewonnen haben, unter denen auch die jetzt oppositionelle FLI von Kammerpräsident Gianfranco Fini sei, als auch mit der Opposition. Napolitano öffnet damit die Tür für eine Regierung der breiten Übereinstimmung.

Neben Neuwahlen stehen drei Optionen für die Nachfolge Berlusconis zur Debatte.

Innerhalb der Regierungspartei PdL wünschen sich nicht wenige eine um die oppositionelle christdemokratische UDC erweiterte Regierung des Mitte-Rechts-Lagers. Gegen diese Lösung spricht aber vor allem der Widerstand des Koalitionspartners Lega Nord, die sich seit langer Zeit gegen die Wiederaufnahme der UDC ins Kabinett sperrt. UDC-Chef Pier Fernando Casini, der sich 2008 von Berlusconi getrennt hat, hat außerdem in den letzten Tagen und Wochen mehrfach geäußert, dass er angesichts der dramatischen Lage nur für eine Regierung zu haben ist, in der auch die größte Oppositionskraft, die Demokratische Partei (PD) vertreten ist.

In einer derartigen Regierung der nationalen Einheit, die Casini seit dem Sommer vorschlägt, wären die größten Parteien des Landes vertreten - PdL, PD und der sogenannte Dritte Pol mit der UDC und der FLI. Lega Nord und die oppositionelle Linkspartei Italia dei Valori (IdV - Italien der Werte) von Antonio Di Pietro würden bei dieser Lösung wohl die Oppositionsrolle einnehmen.

Expertenkabinett unter Führung Mario Montis

Die dritte mögliche Lösung wäre ein Expertenkabinett unter Führung einer über den Parteien stehenden anerkannten Persönlichkeit. Eine derartige Regierung könnte bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode im Amt bleiben oder so lange, bis die wichtigsten Aufgaben erfüllt sind. Priorität hätte die Sanierung der wirtschaftlichen Misere und die Schaffung eines neuen Wahlrechts, mit dem man in die kommenden Wahlen gehen kann. Als möglicher Chef einer derartigen Regierung steht seit Tagen der frühere EU-Kommissar Mario Monti zur Debatte.