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Seit Jahrzehnten bemüht sich Griechenland um die Wiedereröffnung einer theologischen Hochschule in der Türkei.
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Langsam schiebt sich die Fähre von der Seite an die Anlegestelle. Die Menschen stehen schon ungeduldig an der Reling, wanken, suchen ihr Gleichgewicht nicht zu verlieren. Der Vertäuer wartet am Ufer, um das dicke Seil aufzufangen, das ihm vom Schiff aus zugeworfen wird. Kaum hat er das Tau zwei-, dreimal um einen der Poller gewickelt, springt schon ein Passagier mit einem großen Satz über die Bordkante auf die Anlegestelle. Er hat es eilig, auf Heybeliada zu kommen, die zweitgrößte der Prinzen inseln vor Istanbul.
Dann, nachdem die Fähre angelegt hat und zwei hölzerne Stege über die Bordkante geschoben wurden, strömen die anderen Fahrgäste in Zweierreihen auf den Steg. Dort hat sich schon eine Menschentraube gebildet, die wiederum darauf wartet, das Schiff besteigen zu dürfen.
Seit eineinhalb Jahrhunderten wird Heybeliada regelmäßig von Fähren angesteuert. Chalki ist ihr griechischer Name, und Griechen waren es, die im 19. Jahrhundert großteils das Aussehen der Insel geprägt haben. Sie bauten zwischen den Pinienhainen die Villen und Residenzen mit ihren verzierten Dachgiebeln, hohen Fenstern und Türen. Sie errichteten Klöster und auf der Spitze eines Hügels das Seminar von Chalki, damals die wichtigste theologische Hochschule des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel.
Bis 1971 bildete die Akademie Geistliche aus. Zu dem Zeitpunkt hatte Konstantinopel schon längst einen anderen Namen, war aus dem Osmanischen Reich die Republik Türkei geworden, und von den hunderttausenden Griechen waren nur noch einige tausend in Istanbul geblieben. Die türkischen Behörden schlossen das Seminar; private Universitäten waren nicht erlaubt.
Seit 1971 bemüht sich das orthodoxe Patriarchat, unterstützt von Griechenland, um eine Erlaubnis, die Akademie wieder zu eröffnen. Erst vor gut einem Jahr gab es erste Anzeichen für ein mögliches Entgegenkommen der Türken. Premier Recep Tayyip Erdogan und andere Regierungsmitglieder besichtigten ein Kloster auf einer der Prinzeninseln. Und nun, Anfang der Woche, traf Vizepremier Bülent Arinc den griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomaios in dessen Residenz in Istanbul.
Es wäre ein nicht unüblicher Neujahrsbesuch gewesen - wäre Arinc nicht der erste hochrangige staatliche Repräsentant im Phanar seit beinahe 60 Jahren. Zwar machte er dem Patriarchen keine großen Hoffnungen auf eine baldige Wiedereröffnung des Seminars, weil es "rechtliche Hürden" gebe. Doch diese wolle die Regierung in Ankara überwinden.
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Die Annäherung zwischen den einst verfeindeten Nachbarn Griechenland und Türkei geht vielleicht vorsichtig, aber stetig voran. So reist heute, Freitag, erstmals der griechische Premier Giorgos Papandreou nach Erzurum zum jährlichen Treffen seines türkischen Amtskollegen Erdogan mit Diplomaten. Und mittlerweile gehört Griechenland - trotz aller Unstimmigkeiten - zu den starken Befürwortern eines EU-Beitritts der Türkei.
Unmut bei Teilen der türkischen Öffentlichkeit hat jedoch das Vorhaben Griechenlands ausgelöst, einen kilometerlangen Grenzzaun zwischen den beiden Ländern zu errichten, um die illegale Migration einzudämmen. "Europa wendet sich von der Türkei ab", meinten manche Kommentatoren. In Zeiten, in denen Grenzen fallen, würden andere hochgezogen. Außer Acht gelassen wird dabei, dass die EU sich generell abschottet, indem sie ihre Außengrenzen befestigt. Dass sie es noch immer nicht geschafft hat, ein gemeinsames Asylsystem zu schaffen. Dass die Flüchtlinge keiner will. Inklusive der Türkei.