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Tauziehen um die Zukunft Europas

Von Walter Hämmerle

Europaarchiv

Für Kritiker nutzt Standortwettbewerb allein der Wirtschaft. | Wettbewerb für Liberale auch Garant für Effizienz und Sparsamkeit. | Wien. Zumindest in einem Punkt herrscht Einigkeit quer durch Europa: Alle wollen den Euro retten, an einem Auseinanderbrechen der Europäischen Währungsunion aufgrund der anhaltenden finanzpolitischen Turbulenzen hat niemand Interesse. Jenseits dieses kleinsten gemeinsamen Nenners findet jedoch ein erbittertes Tauziehen um die künftige Gestalt der Europäischen Union statt. | Irlands Antrag auf Hilfe steht bevor | Analyse: Nicht das letzte Krisen-Comeback


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Mit Irland ist nämlich ein Land an den Rand des finanzpolitischen Abgrunds geraten, das sich massiv die Möglichkeiten des inner-europäischen Standortwettbewerbs zunutze gemacht hat.

Die Grüne Insel ist mit dieser Strategie nicht allein, vor allem die ehemaligen kommunistischen Staaten setzen auf niedrigere Steuersätze, um Investoren und Arbeitsplätze anzulocken und so das Wohlstandsgefälle zu verringern. Und auch Österreich nutzt Nischen im Steuersystem, um für Kapital wie Großunternehmen attraktiv zu sein.

Natürlich ist diese Strategie des innereuropäischen Standortwettbewerbs jenen ein Dorn im Auge, die dank hoher Entwicklung und ebensolcher Steuersätze ihren gut ausgebauten Wohlfahrtsstaat finanzieren. Vor allem Arbeitnehmervertreter geißeln den Standortwettbewerb als Mittel zum Zweck der Wirtschaft, Sozialleistungen und Steuern nach unten zu lizitieren. Befürworter argumentieren mit der höheren Mobilität der Produktionsmittel im Vergleich zu Fiskus und Arbeitnehmern.

Mit den Problemen Irlands hat dieser Glaubenskrieg zwischen Wirtschaftsliberalen und Zentralisten nun einen neuen Höhepunkt erreicht. Die irische Regierung fürchtet um ihre steuerpolitische Unabhängigkeit. Tatsächlich scheint kaum vorstellbar, dass Irland - das ohnehin seit Jahrzehnten von EU-Strukturförderungen profitiert - auch dann noch seine niedrigeren Steuersätze für Unternehmen aufrechterhält, wenn diese auf Kosten der kontinentaleuropäischen Steuerzahler gehen.

Für die Befürworter einer Harmonisierung von Steuern und Sozialleistungen ist dies die Chance, einen Präzedenzfall zu schaffen. Das wäre wohl ein wichtiger Etappenschritt hin zur Harmonisierung der Steuerquoten. Entsprechend erbittert wird hinter den Kulissen darum gekämpft.

Im Kern begleitet die Debatte um die Finalität Europas die EU seit ihrer Gründung als Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951. In den Augen ihrer sozialliberalen Kritiker hat sie stets ihr Augenmerk allzu sehr auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet: 1993 wurde der gemeinsame Binnenmarkt mit den vier Grundpfeilern des freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- sowie Kapital- und Zahlungsverkehrs etabliert; der Euro als allgemeines Zahlungsmittel folgte 2002.

Diese Kritik bestätigen sogar Befürworter eines EU-internen Standortwettbewerbs wie Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim: "Ja, es gibt Gewinner und Verlierer in diesem Prozess. Vor allem gering-qualifizierte Arbeitnehmer geraten unter Druck, da Unternehmen dorthin abwandern, wo solche Arbeitskräfte billiger zur Verfügung stehen." Dennoch ist er überzeugt, dass vom Wettbewerb auch Länder mit hohen Steuern profitieren.

Und wie steht es mit den Ländern selbst? Für den Wirtschaftsforscher Heinemann steht außer Frage, dass Staaten genauso wie Unternehmen permanenten Wettbewerbsdruck benötigen, um sicherzustellen, dass das Geld der Steuerzahler effizient und zielorientiert eingesetzt wird. "Ich empfehle, misstrauisch gegenüber Mindessteuersätzen gleich welcher Art zu sein, damit wäre der Wettbewerb unter den Staaten ausgeschaltet und die Steuerzahler dem Fiskus ausgeliefert", so Heinemann.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Hannes Swoboda, kann diese Argumentation nicht nachvollziehen: "Ich sehe nicht, dass etwa das Hochsteuerland Schweden weniger fähig wäre sicherzustellen, dass mit dem Steuergeld seiner Bürger effizient umgegangen wird. Dafür gibt es heute insbesondere in Europa andere und mindestens so gute Mechanismen wie den Standortwettbewerb."

Sowohl Swoboda als auch Heinemann sind sich - wenngleich aus diametral entgegengesetzten Perspektiven - allerdings einig darin, dass der Fall Irlands eine entscheidende Weichenstellung im Tauziehen um eine steuerliche Harmonisierung darstellt.

Heinemann glaubt jedoch nicht, dass sich die mittel- und osteuropäischen Staaten oder Großbritannien tatsächlich das Instrument der Steuerpolitik aus der Hand nehmen lassen, "dazu ist mittelfristig die Hürde der notwendigen Einstimmigkeit einfach zu groß". Allerdings werde der Druck auf all jene Länder massiv steigen, deren Defizit aus dem Ruder laufe, da dies eine Bedrohung aller darstelle. Wie dieses jedoch beseitigt werde, ob durch höhere Massensteuern, radikale Sparmaßnahmen oder höhere Unternehmenssteuern, werde auch in Zukunft jedem Land selbst überlassen bleiben, ist der Ökonom überzeugt.

Dem widerspricht der sozialdemokratische Politiker: Nationale Souveränität sei, so Swoboda, "längst in vielen Bereichen begrenzt, global wie innerhalb Europas", erläutert Swoboda. Für ihn war es ein großer Fehler, dass den Staaten in Steuerfragen völlig freie Hand gelassen wurde. Nun gehe es nicht um das Feststehen EU-weiter fixer Steuersätze, sondern um die Definition von Bandbreiten.

Welche Richtung sich in Europa durchsetzt, die sozialliberale oder die wirtschaftsliberale, wird nicht zuletzt der Ausgang des irischen Abenteuers weisen.