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Koalitionen haben kaum gute Chancen. | Queen gibt Auftrag zu Regierungsbildung. | London/Wien. So einfach kann die Bildung einer neuen Regierung sein: Es finden Wahlen statt, am nächsten Tag schon holt sich der neue Premierminister vom Monarchen den Auftrag zur Regierungsbildung ab und wenig später wird das neue Regierungsprogramm verkündet. In Großbritannien war das bis auf eine einzige Ausnahme seit dem Zweiten Weltkrieg immer so. | Brown überlässt Tories den Vortritt
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Doch diesmal herrscht Ratlosigkeit und Verwirrung, denn keine Partei hat die absolute Mehrheit erhalten.
Am wahrscheinlichsten ist, dass es schon bald zu Neuwahlen kommen wird. Denn die sich bietenden Regierungsmöglichkeiten nehmen sich durchwegs unattraktiv beziehungsweise instabil aus.
Die besten Chancen werden noch einem Bündnis zwischen den Konservativen und den Liberaldemokraten eingeräumt. Auf die Unterstützung letzterer wäre eine künftige Regierung für eine Parlamentsmehrheit auf jeden Fall angewiesen. LibDem-Chef Nick Clegg hat auch sofort den Verhandlungsreigen eröffnet und sich zu Koalitionsgesprächen mit den Konservativen bereit erklärt.
Tories und LibDemdifferieren in Kernfragen
Für Tory-Chef David Cameron ist ein Pakt mit den Liberaldemokraten nicht unbedingt erstrebenswert. Denn er stimmt mit keiner ihrer Hauptforderungen überein. Die Liberaldemokraten pochen unbedingt auf eine Wahlrechtsreform in Richtung eines Verhältniswahlrechts, die es ihnen ermöglichen würde, künftig bei Wahlen besser abzuschneiden. Das wiederum wollen die Tories unbedingt verhindern, die für diesen Fall eine lange Ära von Labour-LibDem-Koalitionen dämmern sehen.
Weiters stehen die Liberaldemokraten für nukleare Abrüstung, die Konservativen für eine Beibehaltung des Vereinigten Königreichs als starke Atommacht. Letztlich sind die Liberaldemokraten die große britische Partei mit Pro-Europa-Kurs. Von dem wiederum haben sich die Tories seit Ex-Premier John Major abgewandt. Teils gegen interne Proteste war einer der Hauptverantwortlichen dafür David Cameron, der mit seiner Partei auf EU-Ebene sogar aus dem Bündnis der Volksparteien EVP trat und sie in die Riege von Rechtspopulisten und EU-Kritikern einreihte.
Verrät Cameron auch nur eine dieser Ideen, schwächt er nicht nur seine eigene Position, er könnte gegebenenfalls sogar eine Spaltung innerhalb seiner Partei befördern. Und das angesichts der wackligen Situation vielleicht völlig umsonst. Denn im Falle von Neuwahlen dürfen sich die Tories gute Chancen ausrechnen, während umgekehrt die Liberaldemokraten die schlechtesten Karten haben könnten.
Von einer Euphoriewelle getragen, wurde der großteils unbekannte Nick Clegg innerhalb kürzester Zeit zum Shooting-Star. Unter diesen positiven Voraussetzungen haben die Liberaldemokraten gerade einmal ein Prozent Stimmenanteil zulegen können und dabei noch fünf Sitze im Parlament eingebüßt.
Labour-LibDem ist auf weitere angewiesen
Da kann sich Clegg leicht ausrechnen, wie seine Chancen bei Neuwahlen und ohne Newcomer-Bonus stehen. Noch dazu ist das schlechte Abschneiden zum Teil auch auf die Furcht der Briten vor einem "hung parliament" zurückzuführen. Bei einem neuerlichen Votum wäre das Interesse, einen klaren Regierungsauftrag an eine der beiden Großparteien zu erteilen, umso größer.
Kennt man den großen Eifer und eisernen Willen von Gordon Brown, so ist noch eine Allianz zwischen Labour und Liberaldemokraten möglich. Allerdings kommt dabei erschwerend hinzu, dass die beiden Parteien zusammen keine absolute Mehrheit im Parlament stellen und somit für ein Bündnis noch auf mindestens zwei weitere Parteien angewiesen wären.
Ein wilder Ritt, der mit ziemlicher Sicherheit bald in Neuwahlen resultieren dürfte, denn in Großbritannien sind es Premierminister nicht gewohnt, wie Direktoren eines Flohzirkus zu agieren. Für die Liberaldemokraten besonders heikel: Experten zufolge würde es rund 18 Monate dauern, bevor die für sie so wichtige - und von Brown in Aussicht gestellte - Wahlrechtsreform umgesetzt werden könnte. Das sind 18 lange Monate, die diese Regierung halten müsste, aber auch 18 Monate, in denen die Liberaldemokraten ihrem Partner bedingungslos ergeben sein müssten. Ganz nebenbei hätte eine solche Allianz für Briten einen bitteren Nebengeschmack: Es wäre eine Koalition der Verlierer - etwas, was sich in einem Land nur schwer verkaufen lässt, das es gewohnt ist, dass die stimmenstärkste Partei den Premierminister stellt.
Schon bald ist Queen Elizabeth II. am Zug, denn nur ihr ist es vorbehalten, jemanden mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Der ungeschriebenen Verfassung zufolge muss das die Person sein, die die besten Aussichten hat, das Vertrauen des Parlaments zu erhalten - diesmal keine leichte Aufgabe.