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Team Jesus

Von Muhamed Beganovich

Politik

Hoher Anteil der Zeugen Jehovas in Wien kommt aus den Ost-Ländern.


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Wien. Samstag-Mittag. Es herrscht absoluter Hochbetrieb am Westbahnhof. Slavko (66) steht in dem unteren Bereich zwischen der U6 und der U3 und möchte mit den Menschen über Jesus reden. Keiner bleibt stehen. Der Zeuge Jehovas steht eher unauffällig zwischen einem "Augustin"-Verkäufer und einem provisorischen Zeitungsstand eines Mannes mit Turban. Mit seinem beigen Kurzarm-Hemd, seinen weißen Haaren, der dicken Brille und lockeren Hose erinnert Slavko ein wenig an Carl Fredricksen, den Greißler aus Pixars 2009 Animationsfilm "Oben". Er hält drei Hefte in der Hand und bietet den vorbeigehenden Menschenmassen eine alternative, kostenlose Leselektüre an: "Der Wachturm", das Heft, das "Jehovas Königreich verkündet", wie der Untertitel verrät. Die Hefte sind monothematisch.

"Pornografie: Harmlos oder schädlich?", fragt sich die August-Ausgabe, während das Juli-Heft wissen möchte, ob man "Religionen vertrauen kann?" In seiner Hand hält Slavko auch ein Heft aus der Zukunft: die September-Ausgabe. Aber die zeigt er nur flüchtig her und verteilt sie nicht, es wäre zu früh dafür.

1981 verließ Slavko seine Heimat, die Slowakei, und kam nach Österreich. Der ehemalige Lokführer arbeitete hier als Elektromechaniker. Vor etwa 16 Jahren entdeckte er die Religion für sich und war gleich überzeugt. "Ich habe endlich Frieden und Glück gefunden", rechtfertigt er seine Konvertierung vom evangelischen Glauben zu den Zeugen Jehovas. Erst vor vier Jahren ließ er sich taufen, davor war er lediglich ein "ungetaufter Verkündiger", wie es bei den Zeugen Jehovas üblich ist. Er kann sich an den Kongress, eine Art Massen-Taufzeremonie, erinnern und nennt es "den schönsten Tag in seinem Leben".

Missionieren höchstes Gut

Den Glauben an Gott und die Botschaft Jesus behauptet Slavko verinnerlicht zu haben. Darum macht es ihm nicht aus, tagtäglich für Team Jesus zu arbeiteten und auf offener Straße zu missionieren, während seine Altersgenossen ihre Pensionen genießen. "Die Missionierung ist ein sehr wichtiger Teil im Leben eines Zeugen Jehovas", sagt Slavko mit Stolz. Es sei das "höchste Gut" eine Person von Jehovas Botschaft zu überzeugen. Die Belohnung dafür sei unermesslich. Verständlich also, dass viele Zeugen Jehovas sich für die Missionierung einsetzen.

"Weltweit gibt es über 7,5 Millionen missionsaktive Zeugen Jehovas - davon rund 21.000 in Österreich", sagt Wolfram Slupina, vom Informationsbüro der Zeugen Jehovas. In Österreich sind sie seit 2009 als Religionsgemeinschaft anerkannt. Im Schnitt sind aktive Jehova-Missionare bis zu 100 Stunden pro Monat für Jesus unterwegs. Auch Jugendliche finden sich oft unter den Missionaren. Den Zeugen Jehovas wird vorgeworfen, das Leben ihrer Kinder zu sehr zu kontrollieren und ihnen die Jugend durch strenge Religionsausübung zu rauben. So sollen Jugendliche schon im frühen Alter in strenge Bibelklassen gesteckt werden, die mehrmals die Woche stattfinden. Viel Freizeit bleibt der Jugend neben der Schule, Bibel-Unterricht und der Missionierung nicht. Auch ihr konsequentes Festhalten an biblische Normen hat ihnen schon viel Kritik eingebracht und macht sie zu Außenseitern.

Vor allem ihre vehemente Ablehnung von Bluttransfusionen ist ein Grund, warum Menschen den Zeugen Jehovas mit Ablehnung begegnen. Als Rechtfertigung führen die Zeugen Jehovas Bibelverse an, denn sowohl im Alten als auch im Neuen Testament soll klar geboten sein, sich des Bluts zu enthalten. Ihre rigide Einstellung zum Thema Sexualität und ihre Absonderung vom Rest der Gesellschaft sorgen ebenfalls oft für Kopfschütteln. Ihre bis jetzt drei verkündeten und nicht eingetretenen Weltuntergänge haben auch wenig zur Verbesserung ihrs Rufs beigetragen.

Jehovas bleiben gerne deshalb gerne unter sich. Slavko erzählt, dass es für jede ethnische Gruppe eigene, zeitlich begrenzte Treffen in den Königreichssälen, Gotteshäuser, gibt. Er selbst trifft sich zwei Mal pro Woche mit anderen Slowaken, tauscht Erlebnisse aus und bespricht den "Dienstplan" für die kommenden Tage. Auf die Frage, warum es so wenige Österreicher unter den Jehovas gibt, lacht Slavko zuerst auf. Nach einer kurzen Denkpause gibt er aber zu, tatsächlich nur eine Handvoll österreichische Jehovas zu kennen. Das Informationsbüro der Zeugen Jehovas führt dazu zwar keine Statistiken, trotzdem ist auch laut Slupina auffällig, dass ein hoher Anteil aus den Ost-Ländern kommt.

Slavko hat heute einen kleinen Sessel mitgenommen, auf dem er sich ab und an setzt. Er blickt jeden Passanten hoffnungsvoll an, aber sie ignorieren ihn weiterhin. Kraft für die undankbare Arbeit schöpft er aus seiner Liebe zu Jesus. Bleibt abzuwarten, ob er es schafft, eine Person von seiner Botschaft zu überzeugen.