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Teamgeist gewinnt Titel

Von Christian Mayr

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England, Italien, Dänemark - eine gemeinsame Mission schweißt zusammen


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WZ  Christian Mayr
WZ  Christian Mayr
© Wiener Zeitung

Am Ende der intensivsten und kräfteraubendsten Fußball-Saison aller Zeiten (Corona-bedingt), können es mitunter schicksalhafte Nuancen sein, die über den neuen Europameister entscheiden. Hier ein Schritt zu spät oder zu weit vorne, da eine Hundertstel zu früh oder zu spät - und schon läuft man statt der möglichen Führung einem Rückstand hinterher. Man soll sich auch im Fußball nichts vormachen, so weit entfernt vom Skirennsport ist dieser nicht - wenn die Teams fast alle auf ähnlichem Niveau agieren, taktisch über das selbe Rüstzeug verfügen und auch jedes Team den einen oder anderen Einzelkönner in den Reihen hat, der ein Match entscheiden kann. So wie man Hundertstelsekunden (Rückstand/Vorsprung) und Millimeter (bei Einfädlern) nicht trainieren und kalkulieren kann, kann man auch rein gar nichts machen, wenn ein Schuss statt ins Kreuzeck zu segeln an die Stange prallt oder die Zehenspitze statt auf gleicher Höhe im Abseits steht.

Was aber möglich ist, um den Sieg gleichsam zu erzwingen, ist, seiner Mannschaft einen Teamgeist einzuimpfen, damit wenigstens einer für den anderen (und am Ende alle für ihr Land) bereit ist (sind), alles zu geben. "Elf Freunde müsst Ihr sein, um Siege zu erringen", predigte bekanntlich schon Sepp Herberger. Auffällig an den Kontinental-Spielen ist jedenfalls, dass die Semifinalisten allesamt über einen Extraschuss Teamgeist verfügen - auch aus einer gemeinsamen Mission resultierend.

So wollen die Engländer - nachdem das Elfertrauma schon bei der WM 2018 besiegt werden konnte - vor heimischem Publikum den ersten Titel seit 1966 (damals vor heimischem Publikum) einfahren. Und sind darob bereit, alles und mehr zu geben, um gleich die Schmach von Jahrzehnten zu tilgen. Nicht anders die Dänen, die nach dem Kollaps-Schock von Christian Eriksen zum EM-Auftakt nun für ebendiesen rennen, spielen und siegen wie zu besten Zeiten von "Danish Dynamite". Nie wäre ein solcher Ruck durch die Mannschaft gegangen, wenn der Spielmacher nicht auf dem Platz zusammengebrochen wäre, vielleicht wäre auch das Semifinale (oder mehr?) nicht möglich gewesen. Und wer Italien im großartigen Viertelfinale gegen Belgien gesehen hat, der weiß, was Teamgeist im Fußball ausmacht: Wie sich die Verteidiger bei erfolgreicher Abwehr wie Basketballer nach einem Block gegenseitig feierten und sogar abbusselten, war eine helle Freude mitanzusehen. Auch die Azzurri mussten - wie England und Dänemark - vorher durch die Hölle gehen (verpasste WM 2018), um nun hier vereint und gestärkt in Wembley um den Finaleinzug zu spielen. Doch auch Gegner Spanien ist, was Teambuilding betrifft, nicht zu unterschätzen: Nach Corona-Sorgen folgte ein mauer Auftakt samt Schimpf und Schande, der die Elf von Luis Enrique aber erst zusammenwachsen ließ und eine enorme Steigerung bewirkte. Und bekanntlich entscheidet immer das letzte und nie das erste Spiel über den neuen Titelträger.

Demgegenüber konnten übrigens die Franzosen, die Deutschen, die Portugiesen, die Niederländer und Belgier - allesamt Titelkandidaten - keine derartige Erzählung anbieten, um im Rausch der gemeinsamen Tat bis ganz nach oben vorzustoßen. Wo dann am Ende vielleicht ohnedies das Schicksal, respektive ein Hundertstel oder ein Millimieter, über den Europameister entscheidet.