70 Prozent der Mädchen wählen immer die zehn gleichen Lehrberufe. | Expertin: Ab dem Kindergarten sollten Talente individuell entwickelt werden. | Wien. Anna Obmann ist eine Quereinsteigerin. Die junge Frau aus Laterns in Vorarlberg hat eigentlich Einzelhandelskauffrau gelernt, doch eine technische Ader hatte sie schon immer. "Seit ich mich erinnern kann, schraube ich und beschäftige mich mit Fahrzeugen", sagt sie. Deshalb hat sich die heute 25-Jährige vor rund zwei Jahren entschlossen, umzusatteln und in den Kfz-Bereich einzusteigen.
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Seit wenigen Tagen ist Obmann die erste diplomierte Karosserie-Reparatur-Managerin Österreichs. Sie hat als erste Frau einen rund 400 Stunden umfassenden Lehrgang an der österreichweit einzigen privaten Ausbildungsstätte für Karosserie- und Lackiertechniker in Alberschwende absolviert.
Mit ihr haben fünf junge Männer den Abschluss geschafft, insgesamt haben bis dato 38 Teilnehmer den Lehrgang bewältigt.
Frauen bereichern das Team
Wilfried Mennel, Geschäftsführer der Karosserie Akademie Alberschwende, freut sich über seinen ersten weiblichen Absolventen - ganz besonders, weil Anna Obmann nicht aus den traditionellen Lehrberufen Kfz-Bau, -Mechaniker oder -Lackierer kommt. Eine Frau als Quereinsteigerin, fachlich auf Augenhöhe, sei "ein Gewinn für die Branche, weil sich die Männer dann mehr anstrengen", sagt Mennel.
Dennoch: Positive Beispiele für junge Frauen in Männerberufen wie diese muss man nach wie vor mit der Lupe suchen. "Mädchen bewerben sich einfach nicht für technische Lehrstellen," sagt Thomas Mayr, Geschäftsführer vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft. "Das gilt für alle technischen Bereiche."
"In der Pubertät, wenn es darum geht, eine Lehrstelle zu finden, wollen Mädchen den Rollenerwartungen entsprechen. Technik gehört nicht dazu", meint Nika Faiss, Beraterin beim "Sprungbrett", einem Verein, der Mädchen hilft, sich beruflich zu orientieren.
Es hapert bei der Berufsinformation
Rund 45.000 Mädchen beginnen jedes Jahr eine Lehre. Sie haben die Wahl zwischen knapp 260 verschiedenen Lehrberufen, dennoch wählen 69,9 Prozent immer die gleichen zehn Lehrberufe (siehe Grafik). Die meisten wollen Einzelhandelskauffrau, Bürokauffrau oder Friseurin werden. Die Wirtschaftskammer Österreich hat alle Lehrberufe mit einem Mädchenanteil unter 30 Prozent aufgelistet: Sie kommt auf 169 Berufe.
Den Burschen gelingt es offenbar besser, in Betriebe hineinzukommen und das vorhandene Lehr-Angebot auszuschöpfen. Rund 48,4 Prozent treffen ihre Auswahl zwischen zehn Berufen, Kraftfahrzeugmechaniker, Installations- und Gebäudetechniker und Elektrotechniker sind die ersten drei. "Die Mädchen suchen sich das Naheliegende", sagt Faiss. "Sie möchten Einzelhandelskauffrau oder Friseurin werden, weil sie damit schon Erfahrungen gemacht haben." Das bedeute aber nicht, dass diese Jobs immer die Traumberufe der Mädchen seien, gibt Faiss zu bedenken. Dass die Berufswahl so einseitig ausfällt, hat maßgeblich mit der Berufsinformation zu tun, weiß Gerlinde Hauer, Arbeitsmarktexpertin der Arbeiterkammer Wien.
"Man müsste nicht erst bei den Zwölfjährigen anfangen, sondern schon ab Beginn des Bildungsweges, also eigentlich schon im Kindergarten, darauf schauen, dass die Fertigkeiten der Einzelnen unabhängig von Geschlechteraspekten gefördert werden", betont Hauer.
Ein weiterer Grund dafür, dass wenige Mädchen einen technischen Beruf wählen, ortet sie in den Betrieben: "Man darf nicht immer nur bei den Mädchen ansetzen und kritisieren, dass diese sich zu wenig bewerben würden. Schließlich sind die Betriebe gefordert, ein mädchenfreundliches Klima zu schaffen und auch den weiblichen Lehrlingen eine Perspektive zu bieten", so die AK-Expertin.
Geld spielt bei Mädchen untergeordnete Rolle
Zudem spielt Geld für Mädchen offenbar eine untergeordnete Rolle bei der Berufswahl, so Faiss: "Für eine 16-Jährige sind 900 Euro Einstiegsgehalt wie bei einer Friseurin eine Menge Geld. Dass davon nach Abzug von Miete, Strom, Lebensmitteln usw. nicht viel bleibt, ist den Mädchen nicht bewusst."
Wie Anna Obmann ist auch Jasmin Reisner eine Vorzeige-Frau in der Technik. Die 1983 geborene junge Frau ist jetzt im dritten Lehrjahr zur Maschinenfertigungstechnikerin bei Knorr-Bremse GmbH, einer in Mödling angesiedelten Konzerntochter, die Bremssysteme für Schienenfahrzeuge herstellt. Nach zahlreichen Versuchen im Gesundheitsbereich, als Verkäuferin oder in einer Wäscherei hat sie als Aushilfe bei einem Wachdienst bei Knorr gearbeitet, als sie auf die bei Knorr-Bremse offene Lehrlingsstelle aufmerksam wurde.
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Bei Reisners Berufsausbildung kommt auf zehn männliche Lehrlinge ein Mädchen, neben 174 Burschen traten nur 17 Mädchen 2009 zur Lehrabschlussprüfung an.
Diese Mädchen müssen oft Kämpfernaturen sein, um in der männerdominierten Arbeitswelt zurechtzukommen, sagt Hauer.
Jasmin Reisner ist dafür ein gutes Beispiel. Ob sie nun das einzige Mädchen weit und breit ist, ist ihr egal: "Man sollte sich nicht unterkriegen lassen. Es ist ein sehr abwechslungsreicher Beruf." Ist sie denn ein bisschen stolz auf sich? "Ja, wenn ich mir meine Vergangenheit so anschaue. Es ärgert mich nur, dass ich das nicht schon viel früher gemacht habe."