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"Technisch erprobt ist alles"

Von Oliver Pfadenhauer

Wirtschaft

Stefan Klute, Gesamtprojektleiter der Stilllegung des AKW Mühleberg, über Herausforderungen und Risiken.


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"Wiener Zeitung": Was ist spektakulärer, der Bau oder der viel länger dauernde Rückbau eines Kernkraftwerks?Stefan Klute: Für mich ist das Projekt Stilllegung und Rückbau definitiv spektakulär. Ich habe in meiner Ausbildung gelernt, Kernkraftwerke auszulegen, das heißt, ich habe Reaktorsicherheit und Reaktortechnik studiert und bin frühzeitig in die Demontage-Rückbau-Schiene reingerutscht. Dabei habe ich großen Gefallen gefunden an den technischen Herausforderungen und Rahmenbedingungen, die in einer kerntechnischen Anlage herrschen, sowie an der Abwechslung. Denn mit jedem Teil, das demontiert ist, ändern sich die Rahmenbedingungen. Das macht den Reiz dieser Aufgabe aus.

Waren Sie zuvor schon an einer Demontage eines Kernkraftwerks direkt beteiligt?

Ich war 15 Jahre bei einem Dienstleister in Deutschland, und wir haben uns auf Spezialaufgaben konzentriert, die auch hier extern vergeben werden - all das, was man nicht mit Eigenpersonal machen kann, wie zum Beispiel Demontagearbeiten von hochradioaktiven Teilen von Kerneinbauten. Es gibt fünf, sechs Firmen auf der Welt, die solche Tätigkeiten durchführen können.

Worin bestehen die größten Herausforderungen und Risiken beim Rückbau eines Kernkraftwerks?

Das größte Risiko ist, eine Anlage abzuschalten ohne Genehmigung beziehungsweise Freigabe für die Demontage- und Rückbauarbeiten. Das kann ein solches Projekt maßgeblich verzögern. Deshalb war es für uns sehr wichtig, dass wir 2018 die Stilllegungsverfügung bekommen haben. Damit war das absolut größte Risiko gebannt.

Bürokratische Hürden stellen für Sie das größte Risiko bei einem AKW-Rückbau dar?

Es sind sicherlich bürokratische Hürden. Viele Anlagen werden aus politischen Gründen abgeschaltet, gerade in Deutschland, manche aus technischen Gründen. Die BKW, die das Kernkraftwerk Mühleberg betrieb, hat hingegen 2013 entschieden, das Kernkraftwerk aus wirtschaftlichen Gründen abzuschalten. Das bedeutet eine ganz andere Herangehensweise mit grosser Weitsicht, was uns ermöglicht hat, die Prozesse entsprechend zu planen und sämtliche Genehmigungen, die wir benötigen, frühzeitig einzuholen, sodass wir nach der Abschaltung am 20. Dezember mit den ersten Außerbetriebnahme- und Demontagearbeiten am 6. Januar beginnen konnten.

Worin bestehen nebst den politischen Hürden die größten Risiken?

Zu den technischen Themen gibt es einen regen internationalen Erfahrungsaustausch. Wir sind wegen der kulturellen Nähe in engem Kontakt mit deutschen Kollegen und streben da auch Kooperationsvereinbarungen an. Wir haben bereits einen Kooperationsvertrag mit den spanischen Kollegen, weil dort ebenfalls Nuklearanlagen rückgebaut werden. Wir sind in Diskussion mit den Schweden sowie mit den Holländern und den Belgiern, wobei dort die Anlagen noch laufen. Auch die Japaner sind stark daran interessiert, dass wir uns austauschen, weil sie Anlagen aus einer ähnlichen Baureihe haben. Wir sind Pioniere in der Schweiz und setzen alles daran, die Erfahrungen, die im Ausland gemacht wurden, einzupflegen und damit die Risiken zu minimieren und die Herausforderungen auf ein zu bewältigendes Maß zu reduzieren.

Es gibt also Herausforderungen, bei denen nicht vorweg klar ist, wie man sie am besten meistert?

Technisch erprobt ist alles. Doch man muss die Puzzleteile aus der internationalen Erfahrung so zusammensetzen, dass es für die eigene Anlage passt. Denn jede Anlage ist anders, sie haben unterschiedliche Betriebshistorien, unterschiedliche Bauarten, unterschiedliche Platzverhältnisse. Da können wir vom gegenseitigen Erfahrungsaustausch profitieren. Dabei geht es weitestgehend um technische Herausforderungen. Wie kriege ich zum Beispiel einen Generator mit einem Gewicht von 220 Tonnen aus einem Maschinenhaus heraus, wenn in der Halle ein Kran für nur bis zu 80 Tonnen steht? Da braucht es eine Übergangslösung, in diesem Fall ein Hubgerüst von knapp 200 Tonnen. Die Herausforderung besteht nun darin, dass daraus nicht 200 Tonnen zusätzlicher radioaktiver Abfall werden. Das sind die Risiken, mit denen wir uns auseinandersetzen.

Für die Stilllegung des AKW Mühleberg wurden zwei Möglichkeiten diskutiert, man hat sich für den raschen Rückbau entschieden. Was wäre die andere Option gewesen?

Man kann solche Anlagen auch in den sicheren Einschluss überführen. Das heißt, man bringt die Brennelemente raus - das werden wir bis 2024 auch geschafft haben -, ändert aber sonst nichts an der Anlage und mottet sie dann einige Jahrzehnte ein. Währenddessen hat man verhältnismäßig geringe Betriebskosten. Nach vierzig, fünfzig Jahren kommt man wieder und führt dann den Rückbau durch, wobei man sich vom Rückgang der Radioaktivität entsprechende Synergien erhofft.

Weil die Radioaktivität unter den Grenzwert sinkt?

Ja, weil dann das Maß an Radioaktivität auf einem gewissen Level unten ist und man möglicherweise mehr Material freimessen kann, das nicht radioaktiver Abfall wird. Diese Vorgehensweise hat aber Vor- wie Nachteile, und im Fall des KKW Mühleberg wurde ganz klar entschieden, dass die Nachteile überwiegen und deshalb nach der Abschaltung gleich mit dem Rückbau begonnen wird.

Was hat den Ausschlag für den sofortigen Rückbau gegeben?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Ein wichtiger Punkt ist die Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, die Anlage nicht vierzig, fünfzig Jahre stehen zu lassen, bevor mit dem Rückbau begonnen wird. Der rasche Rückbau ist deshalb auch die bevorzugte Variante der Schweizer Aufsichtsbehörde respektive des Bundesamts für Energie.

Was spricht außer politischen Erwägungen für einen raschen Rückbau?

Dass wir auf die Expertise der bisherigen Betriebsmannschaft zurückgreifen können, die man in vierzig, fünfzig Jahren nicht mehr hat. Es ist unwahrscheinlich, dass neue Kräfte ohne die Historie der Anlage im Hinterkopf den Rückbau effizienter und sicherer durchführen können als die Kollegen, die sie betrieben haben. Daneben gibt es noch einen ganz pragmatischen Grund: Das radioaktive Element, das gut und einfach zu detektieren ist, hat eine Halbwertszeit von fünf Jahren. Nach fünfzig Jahren sind es zehn Halbwertszeiten, also Faktor 1000 weniger. Das heißt, dass nach fünfzig Jahren die Radioaktivität des Materials viel schwieriger zu messen ist, wodurch sich die Fehlerbereiche bei den Messungen erhöhen können. Deshalb liegt der Vorteil, wie wir es machen, auch darin, Klarheit über die Radioaktivität des Materials zu haben, um es entsprechend dekontaminieren zu können.•