"Migration Sammeln" soll Einwanderung in Wien sichtbar machen.
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Wien. "Wer seine eigene Geschichte nicht erzählen kann, der hat nicht existiert." Mit diesem Zitat des indisch-britischen Schriftstellers Salman Rushdie eröffnete Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger am Mittwoch im Wien Museum am Karlsplatz die Präsentation des Projekts "Migration Sammeln" im Wien Museum am Karlsplatz. Ein vierköpfiges Team soll nun helfen, die Geschichten von Migranten, ihre Verbindung und ihren Einfluss auf Wien zu erzählen und sichtbar zu machen. Das mit maximal 195.000 Euro dotierte Pilotprojekt wird bis Ende August 2016 laufen, im Fokus liegen Migranten aus Ex-Jugoslawien und der Türkei, da es sich hier um die größte Zuwanderungsbewegung seit der Monarchie handelt.
Von Karedeniz und Süt
"Neben einer gezielten Medienkampagne setzen wir auf Zusammenarbeit mit städtischen Institutionen im sozialen Bereich sowie im Senioren- und Jugendbereich. Wichtig ist auch die Kooperation mit verschiedenen migrantischen Communitys", erklärt Projektleiterin Vida Bakondy. Sie verweist dabei auf andere Vorhaben wie die derzeit im Wien Museum gezeigte Ausstellung "Romane Thana. Orte der Roma und Sinti.", die deutlich zeigen, wie wichtig bei derartigen Vorhaben die Einbindung jener Menschen ist, deren Geschichte erzählt wird.
Mittels Gesprächen, Präsentationen in migrantischen Selbstorganisationen und sozialen Treffpunkten wie Kaffeehäusern oder Pensionistenklubs sollen die Menschen für die Sammlung von Objekten und die Dokumentation ihrer Erlebnisse sensibilisiert werden. "Wir haben schon im Rahmen vergangener Projekte die Erfahrung gemacht, dass das Bewusstsein zur Selbstdokumentation der eigenen Geschichte zwar vereinzelt da, aber oft nicht gegeben ist - auch, weil sich jahrzehntelang niemand für diese Geschichten interessiert hat", erinnert sich Vida Bakondy.
Um Geschichten zu erzählen, bedarf es aussagekräftiger Gegenstände - und die müssen erst gefunden werden. "Was ein Objekt der Migration sein kann, ist auf den ersten Blick meist nicht sichtbar", erklärt Bakondy. Die dahinterstehende Bedeutung ergibt sich oft erst aus dem Kontext. Um dies zu veranschaulichen, zieht sie eine Packung eines Produkts namens "Karedeniz", hervor, was so viel wie "Schwarzes Meer" bedeutet. Eigentlich in Sri Lanka produziert, wird er von einer Wiener Großhandelsfirma als originär türkischer Tee vertrieben. Der "Karedeniz" ist mittlerweile nicht nur ein bedeutendes Konsumgut für in Österreich lebende Migranten, sondern auch ein beliebtes Gastgeschenk für Türkeibesuche.
"Migrationsgeschichte wird im Projekt nicht nur als Geschichte der Migrantinnen verstanden, sondern als Geschichte, die einen gesamtgesellschaftlichen Wandel zur Folge hatte und auch die Stadt Wien und ihre Bevölkerung geprägt hat", fährt Vida Bakondy fort. So soll sich der Sammlungsprozess auf viele Bereiche erstrecken, unter anderem auf Wiener Firmen, die in den Sechziger und Siebziger Jahren gezielt Migranten angeworben haben, aber auch die Wirtschaft allgemein, die auf Migranten als Kunden reagierte.
Als Zeugnis dieser Entwicklungen präsentiert sie eine Vollmilchpackung der Firma Nöm - deutsch und türkisch beschriftet und mit dem Glücksbringer des allsehenden Auges versehen. 2010 hatte das niederösterreichische Unternehmen versucht, durch volksgruppenspezifisches Marketing die türkische Community in Ostösterreich stärker anzusprechen und so die ausländische Konkurrenz auszustechen. Die mit "Süt" beschrifteten Milchpackungen, mit denen Nöm ausschließlich türkische Supermärkte belieferte, wurden nach heftigen Protesten wieder aus dem Sortiment genommen. "Auch die Unsicherheiten des miteinander Umgehens, beispielsweise ob Objekte fremdsprachlich beschriftet werden sollen - eine Frage, die sich jede kulturelle Organisation stellt - können durch solche Stücke erzählt werden", meint dazu Museumsdirektor Wolfgang Kos.
Ins Gedächtnis der Stadt
Zuletzt zeigt Ljubomir Bratić - Mitglied des Projektteams - eine unscheinbare blaue Musikkassette. "Dieser Gegenstand wurde 1986 in Belgrad produziert, ist aber nicht in Jugoslawien zu finden", erläutert er. Der Tonträger ist ein Werbegeschenk, das jugoslawische Banken mit Auslandstöchtern in den Achtziger Jahren an jugoslawische Migranten verteilt haben, um sie dazu zu bewegen, Devisenvermögen wieder in der alten Heimat anzulegen. Diese Banken - die mit den Migranten gemeinsam nach Österreich kamen - waren bis Mitte der Siebziger Jahre quasi konkurrenzlos, da Zuwanderer keine Kredite von österreichischen Banken bekamen. Als sich dies änderte, mussten sie sich aktiv um ihre Klientel als Kunden und Partner bemühen.
"So ein kleiner Gegenstand erzählt uns auf so vielfältige Art und Weise, was dieses Subjekt "Migrant" ist, was die Menschen, darin hineinprojiziert haben, was sie gedacht haben, wer sie sind und wer sie sein könnten", meint Bratić. Diese Projektionen reichen bis hinzu Annahmen darüber, welche Musik die Migranten gerne hören - die Kassette ist mit einer Reihe jugoslawischer Volkslieder bespielt.
Ob die Sammlung, die momentan erst aus den drei gezeigten Gegenständen besteht, auch ausgestellt wird, ist noch ungewiss. "Wir sind ganz am Anfang, es wird sich zeigen, was wir alles aufnehmen", meint Ljubomir Bratić, der Erfahrungen aus dem Projekt "Archiv der Migration" ins Team mitbringt. Auch Direktor Kos betont, dass es zuallererst wichtig ist, die Objekte in die Museumssammlung aufzunehmen, damit sie überdauern. Er zeigt sich stark von dem Vorhaben überzeugt. "Das Wien Museum ist jedenfalls Nutznießer dieser Aktion, da es unsere Aufgabe ist, aussagekräftiges Material zum Thema Integration dauerhaft in das Stadtgedächtnis einzuspielen."