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Teheran, die Stadt der Jugend

Von Arian Faal

Politik

1971 beging der Schah von Iran feierlich die 2500. Wiederkehr der Gründung des Persischen Reiches durch Kyros des Großen. 34 Jahre später ist der letzte Schah, Reza Pahlawi, längst Geschichte, der Iran eine Islamische Republik und aus anderen Gründen (Atomstreit, Menschenrechte, Fundamentalismus) immer wieder im Blickpunkt. Wie es heute im Iran wirklich aussieht, zeigt eine Reportage aus der Hauptstadt Teheran:


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Es ist kurz vor zehn Uhr morgens und Ali, 22, sperrt die kleine Boutique in Teheran auf. Er sieht mit seinen gezupften Augenbrauen aus wie das Mitglied einer westlichen Boygroup. Auf seinem T-Shirt steht "Freedom".

"Ab nun wird besonders viel los sein, denn die Menschen kaufen für ,Eid' (das persische Neujahrsfest zu Frühlingsbeginn) Geschenke ein", erklärt der Geschäftsmann, der neben seinen Eltern auch noch fünf Geschwister versorgen muss.

Junge Iraner wie Ali tun heute, was ihnen gefällt. Sie sehen Sender aus aller Welt, obwohl Satellitenschüsseln verboten sind, bestellen aus dem Ausland Filme, die auf dem Index stehen, laden Popmusik aus dem Internet herunter und trinken Alkohol.

Denn sie verfügen über eine Macht, die das Mullah-regime ziemlich alt aussehen lässt: Sie sind so unglaublich viele. Rund 51 Millionen Iraner sind unter 30 Jahre alt, das sind mehr als 70 Prozent der Bevölkerung. Noch deutlicher wird dieses Phänomen in Teheran. 12,5 von 15 Millionen geschätzten Einwohnern sind jünger als 35 Jahre alt. Die Stadt lebt mit allen Extremen. Drogen, Aids und Prostitution gehören genauso zum Alltag wie Jugendliche, die Auswege aus dem beengenden Alltag suchen und verbotenerweise flirten.

Museum der Revolution

Teherans Straßen gleichen einem Museum der Revolution vor 26 Jahren, überall Hasstiraden gegen die USA und überlebensgroße Bilder von Ajatollah Khomeini, der den Weg weist. Daneben gibt es westliche Werbung von Gucci und Braun. In kaum einer anderen Millionenmetropole werden Gegensätze so deutlich sichtbar. Die belebteste und längste Straße ist die Wali-je Asr. Sie führt durch den armen Süden, über die Imam Khomeini Straße im Zentrum bis hinauf in den Norden, wo die Nobel- und Villenviertel der Reichen zu finden sind. Schöne Blumengärten, Edelboutiquen und herrliche Bäckereien versüßen das Shopping.

Gefährlicher Austausch

Hier arbeitet auch Ali. "Sie finden hier wirklich alles, Drogen, Cafés, zahllose Geschäfte und Flirts", sagt Ali und deutet auf einen Paykan, einer Art iranischem VW, der das Straßenbild des sechsspurigen Boulevards prägt. Der Lenker blinkt eine vorbeigehende Passantin an. Sie zögert kurz und steigt ein. Sie tauschen innerhalb von Sekunden die Telefonnummern aus. Das hübsche Mädchen rückt ihr Kopftuch zurecht und steigt aus. Diesmal hatten beide Glück. Freiwillige Religionswächter des Regimes, sogenannte Bassidsch-Milizen, sind in Teheran nämlich omnipräsent und verhindern "unsittliche Beziehungen".

Ali hat schon einiges verkauft und besorgt sich mittels modernem Videohandy "Karten" für eine Party. Dass man im Westen den Eindruck hat, der Iran sei in mancherlei Hinsicht zurückgeblieben, dagegen wehrt sich Ali energisch: "Schauen Sie sich auf der Straße um, beobachten Sie die Jugendlichen und sagen Sie mir, ob wir den Europäern nachstehen. Aus der ganzen Welt kommen Exiliraner in den Sommermonaten, um wie sie sagen, die besten und aufregendsten Partys zu feiern", konstatiert der redegewandte Verkäufer und fährt durch seine "Beckham-Frisur", auf die er besonders stolz ist.

Opium aus Afghanistan

Doch sein Lächeln vergeht schnell. Neben dem Geschäft versammeln sich einige abgemagerte Gestalten. "Die verdammten Drogen", seufzt Ali. Modedrogen wie Ecstasy und Ice kommen aus Thailand und Malaysia. Am leichtesten erhältlich jedoch ist Heroin. Aus Afghanistan kommt das Opium.

Die Tagesdosis kostet 7.000 Tuman, etwa 6,5 Euro. Auch Aids ist zum Problem geworden. 8000 offiziell registrierte, die Dunkelziffer ist noch viel höher. Ali bringt den Süchtigen Tee und redet ihnen gut zu. "Kummer schweißt zusammen", resümiert er.

Die jungen Menschen in Teheran haben ihre Methoden gefunden, mit den Tücken des Alltags umzugehen. An ihnen liegt es auch, das Teheran von morgen zu gestalten, denn es gibt noch viel zu tun. n