)
Interner Machtkampf im Iran. | Der Islam erstarkt unter Ahmadi Nejad. | Teheran. Es ist kurz nach 17 Uhr und der Fastenmonat Ramadan bewirkt auf Teherans Straßen einen noch größeren Verkehrskollaps als sonst. Die Menschen, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts essen und trinken dürfen, warten ungeduldig auf das "Azan"-Gebet (gegen 18 Uhr), den erlösenden Moment. Gegenseitige Glückwünsche zum erfolgreichen Fastentag, ein gemeinsames Essen auf den Straßen und in diversen Restaurants und Gaben für die Armen bilden den Abschluss dieses Rituals. Bei diesen Zeremonien hat man Zeit, bei Schafkäse, Kräutern und einer traditionellen persischen Suppe, "Ash Reshte", über Politik zu diskutieren.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Populäres Sozialpaket
Auf dem Vali-Asr-Boulvard wimmelt es von Jugendlichen. Homayra, eine 22-jährige Jusstudentin aus ärmsten Verhältnissen, lässt sich nicht lange bitten, ihren Eindruck zu schildern: "Natürlich hat sich viel verändert im Iran und ich kann mir vorstellen, dass es der reichen Schicht nicht in den Kram passt, was Ahmadi Nejad alles vorhat, aber uns hat er geholfen. Er war es auch, der die zinslosen Kredite für Urlaube und Hochzeiten für die Ärmsten eingeführt hat".
Dass einher mit dem "Sozialpaket", zu dem unter anderen eine Vergünstigung bei Automobilbeschaffungen und Steuererleichterungen für die Ärmsten gehören, ein radikaler Kurs gegen jegliche Übertretung der islamischen Grundsätze gefahren wird, stört Homayra nicht. Ihre Freundin, Shaghayegh geht sogar noch einen Schritt weiter. "Wissen Sie warum Ahmadi Nejad bei den Armen beliebt ist? Er ist einer von uns. Er kleidet sich wie wir, lebt nicht wie andere (gemeint ist Rafsanjani) in Saus und Braus und kümmert sich um die Anliegen der untersten Schichten".
Szenenwechsel. Einige Meter weiter in Richtung Norden sitzen drei gestylte junge Burschen mit gezupften Augenbrauen in Gucci-Anzügen auf einer Parkbank. Auf den Präsidenten sind sie nicht gut zu sprechen. Nima, 27, Architekturstudent, bringt seinen Unmut auf den Punkt. "Rafsanjani wäre viel besser gewesen. Die repräsentativen Qualitäten des derzeitigen Präsidenten möchte ich stark anzweifeln. Außerdem haben die Sittenwächter wieder begonnen, sinnlose Verhaftungen zu forcieren. Wir werden ja sehen, wohin das alles führt".
Dass es vor und nach den Präsidentschaftswahlen innenpolitische Querelen im Gottesstaat gab, ist ein offenes Geheimnis. Doch die neue Verteilung der Macht zeigt, dass Verlierer auch Gewinner sein können und umgekehrt, wenn sie über entsprechende Machtpolster verfügen.
Machtkampf der Mullahs
So hat der Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei de facto nun noch mehr Befugnisse und Weisungsrechte. Auch der Wahlverlierer, Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani, ist als Vorsitzender des so genannten Schlichtungsrates (der Instanz, die zwischen Parlament und Regierung vermittelt) durchaus mindestens genauso einflussreich wie der Präsident selbst.
Das letzte Wort in diesem komplizierten Machtgefüge hat Khamenei, sowohl in der Atomfrage wie auch in anderen für den Alltag wichtigen Punkten. Letzterer war es auch, der kurz vor der Stichwahl mit der Aussage "Wir brauchen einen jungen Präsidenten" (Rafsanjani ist 71, Ahmadi Nejad 49) eine indirekte Wahlempfehlung abgegeben hat. Beobachter sehen in der Person Ahmadi Nejad deswegen einen verlängerten Arm Khameneis. Auch die Tatsache, dass fast drei Monate nach den Wahlen immer noch keine komplette Regierungsmannschaft nominiert worden ist (vier Ministerposten sind noch unbesetzt) unterstreicht den starren Willen der Hardliner rund um Khamenei und um den Wächterrat, nur Radikal-Konservative und "echte Hüter des Islams" an die Spitze der Regierung zu katapultieren. Wie wählerisch und penibel der Wächterrat und das Parlament hierbei sind, zeigen die dutzenden Ablehnungen vorgeschlagener Minister.
Noch immer sitzen Nima und seine beiden Freunde auf der Bank, beobachten vorbeigehende Mädchen und spielen mit ihren Videohandys. "Flirten ist unsere einzige Freude, sonst ist ja offiziell nicht viel erlaubt. Das kann uns aber keine Regierung verbieten", sagt Nima schnippisch und deutet auf seinen Freund Mehriar, der gerade einem Mädchen gewunken hat.
Die Ära von Präsident Ahmadi Nejad hat schon ihre ersten Spuren hinterlassen, bei den Armen Spuren der Hoffnung, bei den Reichen Spuren der Skepsis. Die Jugend wird aber keine Regierung so einfach ignorieren können, denn von ihr hängt die Zukunft des Landes ab. Auch morgen werden Nima und seine Kollegen wieder hier sein, um sich dem "Volkssport" Nummer 1, dem Flirten, zu widmen.