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Teheran · Mit stiller Freude haben die Bewohner Teherans am Montag auf den Erdrutschsieg der Reformkräfte bei den iranischen Parlamentswahlen reagiert. Ganz anders als bei der Wahl Mohammad | Khatamis zum Präsidenten im Mai 1997 oder beim Sieg des Iran über die USA bei der Fußball-WM 1998 gab es keine überschwenglichen Jubelkundgebungen.
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"Das ist ein tief empfundenes Glück. Für mich und meine ganze Familie bedeutet das eine zweite Revolution. Wir wollten einen ganzen Teil unserer Geschichte abschließen und eine neue Ära beginnen.
Das ist jetzt möglich", sagt der 35jährige Zeichner Iradj Tabei bei einem Gespräch in Zentrum Teherans.
Wie die meisten Bürger der iranischen Hauptstadt hat auch Tabei für die links-reformerische "Mocharekat" gestimmt, die von Mohammad-Reza Khatami, dem Bruder des Präsidenten geführt wird. Die nach und
nach bekannt gewordenen Wahlergebnisse wurden jedoch nicht mit lauten Hurra-Rufen begrüßt.
Bei den Präsidentschaftswahlen habe man keinen so überwältigenden Sieg Khatamis erwartet, deshalb hätten die Menschen vor Freude getanzt. Und der WM-Sieg über die USA in Lyon habe zu einer wahren
Explosion des Nationalstolzes geführt. Dazu habe sich der Iran auch wieder als Teil der internationalen Völkerfamilie empfunden, meinte Tabei.
Seit am Wochenende der Sieg der Reformer sicher schien, herrschte vor allem in den nördlichen und südlichen Bezirken Teherans Feststimmung. Viele Menschen tauschten zu Hause Glückwünsche aus.
"Niemand von uns hat einen solchen Sieg vorausgesehen. Das ist noch besser als 1997", freut sich die 18jährige Englisch-Studentin Ferechte, die mit Freundinnen im Mellat-Park im Norden Teherans
unterwegs ist. Vor drei Jahren sei sie noch zu jung gewesen, um wählen zu können.
"Ich will eine Zukunft. Ich will den Beruf ausüben können, den ich möchte. Und ich will frei sein, ausgehen können, ohne Angst zu haben, unter irgend einem Vorwand festgenommen zu werden", fügt
Ferechte hinzu. Es sei seit der Wahl Khatamis zwar besser geworden, aber die Angst sei geblieben.
Farnouch Nassir-Zadeh, 47, Buchhalterin und Mutter zweier Kinder, arbeitet am Montag in ihrem Büro. Sie weint vor Freude. "Wir sind so glücklich. Mit diesem Parlament wird sich das Land öffnen und
die seit der Revolution bestehenden Probleme lösen", hofft sie. "Ich habe an der Revolution teilgenommen, ich bin sehr gläubig", betont Farnouch. Sie sei auch nicht gegen die Prinzipien einer
islamischen Republik. Aber Khatami habe eine offene Konzeption des Islam, er wolle den Dialog der verschiedenen Zivilisationen.