Thema Nummer eins in Irans Öffentlichkeit. | Ein Lokalaugenschein in Teheran. | Teheran. Es ist kurz nach 17 Uhr und auf den Straßen Teherans herrscht reger Verkehr. Die Jugendlichen, die sich auf den Straßen tummeln, haben nur ein Gesprächsthema: Mahmud Ahmadi-Nejads Verordnung über das Musikverbot.
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"Was kommt als nächstes? Glaubt der Präsident, dass sich die Jungen daran halten werden?", empört sich Parisa, 24. Die Medizinstudentin spricht vielen Jugendlichen aus der Seele.
"Ewig werden wir uns das nicht gefallen lassen. Zuerst wurde das Internet zensuriert, dann sprachen alle von SMS-Überwachung und jetzt will man uns auch noch die Musik verbieten", seufzt Mitra, für die die westliche Lebensart Teil ihrer Identität ist.
Schluss mit "Dekadenz"
Per Dekret ist dem staatlichen Rundfunk seit Montag die Ausstrahlung westlicher Musik untersagt. Ab sofort dürfen Fernsehen und Radio keine westliche, "dekadente" und "freizügigie" Musik mehr spielen. Der Akzent soll künftig auf "nationale, traditionelle sowie entspannende" Musik gelegt werden. Auch Lieder, die an die Zeit der islamischen Revolution von 1979 erinnern, seien willkommen, hieß es weiter. Als entspannend gilt im Staatsrundfunk unter anderem die Klaviermusik von Richard Clayderman. In letzter Zeit hatten jedoch auch HipHop und Techno in zahlreiche Musikprogramme Einzug gehalten.
Ebenfalls von den Bildschirmen verbannt werden sollen dem Dekret zufolge "Gewalt und Dekadenz". Kulturminister Mohammed Hussein Saffar-Harandi führte aus, "unislamische und dumme" Filme - etwa Kommissar Rex - würden ebenso untersagt wie solche, die die Religion und die Kultur des Volkes beleidigten, wie die Nachrichtenagentur Isna den Politiker zitierte.
Die Restriktionen können viele Iraner aber weiter umgehen: Filme, die schon bisher verboten waren, weil darin Kuss- und Nachtszenen vorkamen, schauten sie im Satellitenfernsehen an. Dariush, 25, Architekt, stören die Maßnahmen der Regierung deshalb nicht sonderlich. "Schauen Sie, wenn etwas verboten ist, dann machen es ja alle erst recht. Verbote zu brechen ist für uns Jugendliche verlockend. Genauso wie die persische Popmusik von "Homeyra" (persischer Popstar) untersagt ist und in jedem vierten Auto in Teheran gehört wird".
Flirten als Nationalsport
Tatsächlich scheint es so, als ob die Jugendlichen parallel zur zunehmenden Restriktionspolitik des Präsidenten ein "Katz- und Maus-Spiel" mit der Regierung spielen. So ist das Flirten, das offiziell verboten ist, zum "Nationalsport" schlechthin geworden. Böse Zungen behaupten sogar, dass ein Drittel der Staus in der iranischen Hauptstadt deswegen zustande kommen, weil junge Männer Frauen nachfahren, um die Telefonnummern auszutauschen.
Das Regime reagiert auf derartige Versuche der Jugend, trotz der Verbote ihr Leben auszukosten, mit Straßenkontrollen und Massenverhaftungen. Auch wenn die neue Regierung rund um Ahmadi-Nejad noch so viele Verbote aufstellt, eines wird sie nicht verbieten können: den unglaublichen Einfallsreichtum der Jugend Teherans, immer wieder Wege zu finden, dennoch Spaß im islamischen Alltag zu haben.