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Teilchen, die Licht überholen

Von Eva Stanzl

Wissen
Rasende Neutrinos: Messgeräte für das Experiment "Opera".

Konflikt mit der Relativitätstheorie. | Grundgesetze der Natur in Frage gestellt? | Weitere Messungen werden durchgeführt.


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Genf/Wien. Mit Hilfe von Scottys Warp-Antrieb reisen Captain Kirk und Mister Spock im "Raumschiff Enterprise" durch die Raumzeit. Sie sind in bis zu 6395-facher Lichtgeschwindigkeit im Universum unterwegs. Der fiktive, wegverkürzende "Warp"-Antrieb ermöglicht den flotten Flug.

Mir Hilfe dieses Stilmittels erklärt Gene Roddenberry, der Autor der gleichnamigen Science-Fiction-Serie, die Bewältigung von Entfernungen zu anderen, viele Lichtjahre entfernt liegenden Galaxien. Er konnte dadurch vermeiden, in seinen Erzählungen mit der für unser physikalisches Weltbild grundlegenden Relativitätstheorie in Konflikt zu kommen. Albert Einstein legt darin die Lichtgeschwindigkeit als eherne Grenze bei knapp 300.000 Kilometern pro Sekunde fest. Höhere Geschwindigkeiten wurden bislang in keinem Experiment nachgewiesen.

"Wäre eine Revolution

in der Physik"

Doch nun wankt dieses Grundgesetz der Natur. Wissenschafter des Europäischen Kernforschungszentrums Cern in Genf stehen mit der Relativitätstheorie nun wirklich in Konflikt. Sie konnten im Experiment zeigen, dass winzige Elementarteilchen scheinbar schneller als das Licht fliegen, und zwar ohne "Wegverkürzung".

Neutrinos, das sind ultraleichte Elementarteilchen, scheinen im Experiment "Opera" rund 0,025 Promille schneller zu sein als das Licht. "Das ist zwar nur sehr wenig oberhalb der Lichtgeschwindigkeit. Aber alles, was tatsächlich schneller unterwegs ist als Licht im luftleeren Raum, wäre eine Revolution in der Physik", sagt der Physiker James Gillies, Sprecher des Cern, zur "Wiener Zeitung".

Es gibt aber-zigtausende Milliarden von Neutrinos auf Erden, die so winzig sind, dass sie die Materie durchqueren können, ohne mit ihr in eine Wechselwirkung zu treten. Im Rahmen des "Opera"-Experiments spähen Physiker in einem unterirdischen Labor in den italienischen Abruzzen nach Neutrinos, die im rund 730 Kilometer entfernten Cern erzeugt und dann auf die Reise nach Italien geschickt werden. Die 2,4 tausendstel Sekunden (Millisekunden) lange Flugzeit lässt sich laut dem Cern auf zehn milliardstel Sekunden (Nanosekunden) genau bestimmen. Die Forscher haben die Flugzeit von an die 15.000 Neutrinos gestoppt und damit eine relativ hohe statistische Sicherheit erreicht. Die geisterhaften Elementarteilchen scheinen demnach im Mittelwert rund 60 Nanosekunden früher aufzutauchen als erwartet.

Zwar sind die Forscher derzeit weit davon entfernt, in den Beobachtungen eine Verletzung von Einsteins Relativitätstheorie zu sehen. Dennoch konnten sie selbst nach mehrmaligem Überprüfen einem möglichen Fehler in ihren Messergebnissen nicht auf die Schliche kommen. "Nach vielen Monaten der Analyse und Prüfung haben wir keinen Instrumenten-Effekt gefunden, der die derzeitigen Ergebnisse erklären könnte", schränkt der Sprecher des Experiments, Antonio Ereditato von der Universität Bern, in einer Aussendung ein.

Die Suche nach dem

fehlenden Glied

"Bevor wir sagen können, dass Einstein falsch liegt, muss das Experiment in den beiden weiteren Kernforschungszentren, dem Femilab in Chicago in den USA und dem T2K in Tokai in Japan, wiederholt werden", betont Gillies. Zudem würde es, wie in solchen Fällen üblich, nun der Fachöffentlichkeit zur Verfügung gestellt und mit anderen Experimenten aus diesem Bereich verglichen.

Heutige GPS-Navigationssysteme würden auf den Prinzipien der Relativitätstheorie beruhen, Transistoren auf jenen der Quantenmechanik: "Beide Technologien verwenden wir ständig und sie funktionieren", so Gillies: "Allerdings passen die beiden grundlegenden Gesetzmäßigkeiten, die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, nicht ganz zusammen, weil die Quantenmechanik keine Theorie für Gravitation hat. Wir sind auf der Suche nach der These, die beide verknüpft. Dennoch ist die jetzige subtile Messung nicht zwingend das fehlende Glied."