Zum Hauptinhalt springen

Tektonische Verschiebungen im Pazifik

Von Hermann Mückler

Gastkommentare

In Europa weitgehend unbemerkt, hat der Austritt mehrerer Staaten aus der wichtigsten pazifischen Regionalorganisation geopolitische Auswirkungen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Austritt fast eines Drittels der Mitglieder des regionalen Pazifischen Inselforums (PIF) ist derzeit das große Thema in den Inselstaaten Ozeaniens, aber auch in den Ländern an dessen Rändern. Am 5. Februar erklärten die fünf mikronesischen Mitglieder - Palau, die Föderierten Staaten von Mikronesien, die Marshall-Inseln, Nauru und Kiribati - überraschend ihren Austritt aus der Organisation, die sich als Forum für die Zusammenarbeit auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet der Inselstaaten des Pazifiks versteht.

<*saveTag:0*>

Der offizielle Grund dafür war, dass sich die fünf Staaten, die sich alle nördlich des Äquators in Mikronesien befinden, bei der Wahl eines neuen Generalsekretärs übergangen fühlten, da nicht der von ihnen vorgeschlagene Kandidat gewählt wurde. Sie pochten dabei auf ein Gentlemen’s Agreement, das vorsah, dass der immer für drei Jahre gewählte Sekretär rotationsmäßig jeweils aus einem der Länder der drei Großregionen Ozeaniens - Melanesien, Polynesien und Mikronesien - stammen sollte. Diesmal wären die Länder Mikronesiens an der Reihe gewesen, jedoch unterlag deren Kandidat, der von den Marshall-Inseln stammende Gerald Zackios, bei der Abstimmung Henry Puna, dem Ex-Premier der Cook-Inseln, knapp (8:9). Die sich immer schon gegenüber den anderen PIF-Mitgliedern marginalisiert fühlenden mikronesischen Staaten erklärten daraufhin geschlossen ihren Rückzug aus der 1971 gegründeten Regionalorganisation.

Viele Unterschiede, wenige Gemeinsamkeiten

Neben allen kleinen Inselstaaten, wie etwa Fidschi, Samoa, Papua-Neuguinea und Vanuatu, sind auch Australien und Neuseeland sowie indirekt Frankreich - durch die nach wie vor als französische Kolonien ausgewiesenen Gebiete Neukaledonien und Französisch-Polynesien - im PIF vertreten. Die Verhältnisse der bis dato 18 Mitglieder divergieren untereinander stark. Während Australien rund 23 Millionen Einwohner umfasst, weist der Staat Niue gerade einmal rund 1.800 Bewohner auf seiner Felseninsel auf. Ähnlich unterschiedlich sind die Interessen der Inselstaaten, die aufgrund ihrer geringen Größe die regionale Organisation auch dazu nutzen, international sichtbar zu werden und bei wichtigen Themen möglichst mit einer Stimme zu sprechen.

Australien und Neuseeland sind aus Sicht der Kleinstaaten Hegemonialmächte, die sich ihre finanzielle und logistische Unterstützung mit Wohlverhalten bei internationalen Abstimmungen abgelten lassen. Tatsächlich ist keiner der pazifischen Inselstaaten ohne finanzielle Hilfen der Großen lebensfähig. Zu klein und zu abgelegen sind die meisten Inseln, die jedoch im geopolitischen Ringen der Großmächte um die Großregion zwischen den beiden Amerikas und Asien eine zentrale Rolle spielen.

Hermann Mückler ist Ethnologe und Professor an der Universität Wien mit den Regionalschwerpunkten Australien, Ozeanien und Asien-Pazifik.
© privat

Zusammengefasst fokussiert Australien dabei mehrheitlich auf die melanesischen Staaten Papua-Neuguinea, Salomonen-Inseln, Vanuatu und Fidschi, während Neuseeland die polynesischen Inselstaaten Samoa, Tonga und Cook-Inseln im Blick behält. Die USA wiederum "kümmern" sich um die mikronesischen Inselstaaten, mit denen sie durch den Abschluss eines "Compact of Free Association" (Cofa) wirtschaftliche Hilfe mit militärischer Kontrolle verbinden.

Bei konkreten Themen driften die Interessen der im PIF vereinigten Mitgliedstaaten deutlich auseinander. So haben die Inselstaaten ein existenzielles Interesse an einer ernsthaften CO2 reduzierenden Klimapolitik, während Australien durch seine massiven Kohleexporte den Klimawandel anheizt. Die Inselstaaten sind auch untereinander zerstritten. Samoa würde gern einige regionale Institutionen, die derzeit ihren Sitz in Fidschi haben, übernehmen und lässt keine Gelegenheit aus, die politischen Entwicklungen in Fidschi kritisch zu kommentieren. Ungelöste Grenzverläufe, etwa zwischen Fidschi und Tonga oder zwischen Vanuatu und Neukaledonien, tragen ebenfalls zu Uneinigkeit und Instabilität bei. Der Austritt der fünf Staaten könnte der Anfang eines Auseinanderbrechens des PIF sein.

China als Zünglein an der Waage

Australien und Neuseeland nehmen direkt auf den politischen Bewegungsspielraum der Inselstaaten Einfluss, zum Beispiel durch das "Pacific Agreement on Closer Economic Relations Plus" (Pacer+), das vor allem dazu dient, die ökonomischen Möglichkeiten der Inselstaaten mit Partnern außerhalb der Region (etwa der EU) zu limitieren und den Einfluss der beiden Hegemonialmächte zu zementieren. Die USA wiederum betrachten den Pazifik seit dem Zweiten Weltkrieg, wo sie sich auf vielen Inseln heftige Schlachten mit den Japanern geliefert haben, sowieso als ihren Hinterhof. Sie sind gut aufgestellt, mit den Hawaii-Inseln zentral positioniert, mit den mikronesischen Staaten in enger Abhängigkeit und mit Guam sowie den mit den USA assoziierten Nördlichen Marianen als vorgeschobenen Posten vor Ostasien, vor allem gegen China gerichtet.

Die Volksrepublik hat in den vergangenen Jahren sukzessive ihre Machtbasis in den Pazifik ausgedehnt und immer mehr Inselstaaten dazu gebracht, die Ein-China-Politik zu unterstützen, im Gegenzug für großzügige Kredite, Investitionen und Infrastrukturprojekte. Die zeitweilige geringere Beachtung der Inselstaaten durch die USA und Australien hat China zahlreiche Möglichkeiten gegeben, in das dadurch entstandene Vakuum zu stoßen. Insbesondere die australische Isolierung Fidschis nach dem dortigen Militärputsch im Jahr 2006 hat sich rückblickend als falsch erwiesen und Fidschi dazu gebracht, sich mit China einen Partner zu suchen, der ökonomisches Engagement nicht an demokratiepolitische Forderungen knüpft.

Immer wieder tauchen - bisher unbegründete - Gerüchte auf, China könnte einen Marinestützpunkt auf einer der Inseln Vanuatus oder Fidschis errichten. China spielt nach außen hin eine integrative Rolle und hat als einer der Ersten zwei der mikronesischen Staaten zum Rücktritt vom Austritt geraten. Gleichzeitig eröffnet die Schwächung des PIF China eine verbesserte Möglichkeit, auf bilateralem Weg seinen Einfluss auszubauen.

Die Entwicklung im PIF fördert eine Zweiteilung, in der die Cofa-Staaten noch enger an die USA rücken und die melanesischen und polynesischen Inselstaaten der Kontrolle Australiens, Neuseelands und Frankreichs unterworfen bleiben, während die Möglichkeiten der Inselstaaten, sich untereinander abzustimmen, geschmälert sind. Lokale und regionale Partikularismen könnten verstärkt von außen instrumentalisiert werden. China wäre der lachende Dritte. Es darf nicht vergessen werden, dass der Pazifik insgesamt jene Weltregion ist, die zwischen den global konkurrierenden Mächten USA und China liegt und die Inselstaaten zukünftig als Aufmarsch- und Kampfgebiet - wie es bereits im 20. Jahrhundert der Fall war - Bedeutung erlangen könnten.

Kulturen des direkten Gesprächs in Ozeanien

Manche Beobachter respektieren den Schritt der mikronesischen Staaten, da sie deren Rolle im PIF über Jahre hinweg tatsächlich als marginalisiert ansehen. Manche orten in der Wahl des "falschen" Generalsekretärs die Handschrift Australiens und Neuseelands, um ihre Interessen im PIF besser durchsetzen zu können. Andere kritisieren das Verhalten der Mikronesier, denn das Ergebnis dieser ordnungsgemäß abgelaufenen, geheimen, demokratischen Wahl müsse man akzeptieren.

Vielleicht wäre es nicht gleich zum Austritt der mikronesischen Inselstaaten gekommen, wäre neben den bereits erwähnten Faktoren nicht noch ein Umstand hinzugekommen: Dieses PIF-Treffen war das erste, das - durch die Covid-19-Pandemie bedingt - ausschließlich online stattfand. Die pazifischen Kulturen sind aber, mehr noch als jene in Europa, Kulturen der persönlichen, direkten Begegnung und des zelebrierten Umgangs miteinander. Kaffeepausen- und Ganggespräche fielen weg und damit das Abtasten, das Ausloten und der informelle Austausch, der eine abfedernde Wirkung hat.

Hinterzimmer- und Vieraugengespräche, die unumgänglich sind, wenn divergierende Interessen einen Ausgleich suchen und ein Kompromiss gefunden werden muss, waren bei dem rein virtuellen Meeting unmöglich. Diese gravierende Veränderung der Gesprächsdynamiken mag, neben den genannten Faktoren, entscheidenden Einfluss darauf gehabt haben, dass sich die Inselstaaten selbst geschwächt und die Tore für äußere Einflussnahme deutlich weiter geöffnet haben, als es derzeit schon der Fall ist.