"Diese Koalition wird weiter bestehen." Umweltminister Wilhelm Molterer ließ gestern keinen Zweifel daran, dass die ÖVP kein Interesse hat, das Atomkraftwerk Temelín zum Spaltpilz der Regierungsparteien zu machen. Die FPÖ beharrte allerdings auch gestern auf der Durchführung eines Volksbegehrens. Und die SPÖ ortet eine massive Koalitions-Krise.
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Allen anders lautenden Aussagen zum Trotz: Von Regierungskrise könne keine Rede sein - zumindest aus der Sicht Molterers. Die unterschiedlichen Meinungen zu Temelin sieht der Umweltminister eher als Resultat einer "Arbeitsteilung": Während die FPÖ eine kritischere Haltung zu Themen der EU-Erweiterung einnehme, sei die ÖVP der "europäisch-drängendere" Teil.
In der gestrigen Fernseh-"Pressestunde" verteidigte Molterer die am Donnerstag getroffenen Vereinbarungen des Temelin-Gipfels in Brüssel. Das Abkommen stehe allerdings erst am "Anfang des Umsetzungsprozesses", betonte der Umweltminister. Bis 10. Dezember solle der Detailzeitplan fixiert sein; doch zwei Tage später sollten die Außenminister das Energiekapitel der tschechischen EU-Beitrittsverhandlungen "zur Seite" legen. Bis zur Beitrittskonferenz Anfang 2003 werde Österreich genug Zeit haben, zu beobachten, ob die Tschechische Republik ihre Verpflichtungen aus dem Brüsseler Abkommen einhalte.
Offene Fragen für FPÖ
Die FPÖ hat da andere Vorstellungen. Die bisherigen Ergebnisse reichen nicht aus; um ein Anti-Temelin-Volksbegehren komme die Regierung nicht herum, lautete der freiheitliche Standpunkt am Wochenende. Ohne Ausstiegsszenario keine Zustimmung zum tschechischen EU-Beitritt, bekräftigen somit Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer und Klubobmann Peter Westenthaler.
Für die weitere Vorgangsweise der FPÖ werde das Ergebnis des Volksbegehrens bestimmend sein, erklärte gestern Generalsekretär Karl Schweitzer. Zur Absicht Molterers, das Energiekapitel "zur Seite zu legen" meinte Schweitzer gegenüber der APA: "Wenn man ein Energiekapitel zur Seite legt, was auch immer das ist, hat das nichts mit Abschließen zu tun. Weitere Verhandlungen sind immer möglich."
Dass der Prozess keinesfalls abgeschlossen sei, hatte aber ebenfalls Molterer betont. So sei auch bei den Verhandlungen von einer Nullvariante gesprochen worden. Sollte die tschechische Seite dies erwägen, wäre Österreich bereit, helfend einzugreifen. Ein Drei-Stufen-Plan wäre in diesem Zusammenhang denkbar. Unsichere Kraftwerke wie Bohunice, Kosloduj und Ignalina müssten geschlossen werden, was auch zugesagt sei. Zweitens müsste es europäische Sicherheitsstandards geben, wie sie nun für Temelin gelten. Drittens sollte ein europaweiter Ausstieg aus der Atomenergie angestrebt werden.
Konsens nicht in Sicht
Von einem Konsens in der Anti-Atom-Politik, für den Molterer plädiert hatte, sind die Parlamentsparteien weit entfernt. Laut SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Andrea Kuntzl können die "schönen Worte" des Umweltministers nicht darüber hinwegtäuschen, "dass die Koalition tief in sich gespalten ist". Für Umweltsprecherin Ulli Sima steht die ÖVP mit ihrem Verhandlungsergebnis zu Temelin "völlig alleine" da. Das Ergebnis von Brüssel sei "äußerst mager, denn es gibt keine einzige verpflichtende Zusage von Seiten Tschechiens, die sieben offenen Sicherheitsfragen zu lösen und das Pannen-AKW nachzurüsten", betonte Sima.
Einen "Sprachspagat" Molterers ortete Eva Glawischnig, Umweltsprecherin der Grünen. Der Minister solle der Bevölkerung "reinen Wein einschenken", wie es mit dem Energiekapitel weitergehe. Die Aussagen der beiden Regierungspartner stünden in krassem Widerspruch zueinander.