Zum Hauptinhalt springen

Temelin und der Melker Prozess

Von Waldemar Hummer

Kommentare
Waldemar Hummer ist Universitätsprofessor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck. Foto: privat

Kernkraftwerke an der Grenze sind für den Betreiberstaat notwendige Energielieferanten, für den Nachbarstaat aber unter Umständen ein hohes Sicherheitsrisiko. | Rund um Temelin hagelt es Klagen. Mitte Juni 2007 brachte der tschechische Energiekonzern CEZ, der Betreiber des südböhmischen Kernkraftwerks Temelin, beim Kreisgericht Ceske Budejovice (Budweis) eine Feststellungsklage gegen das Land Oberösterreich ein.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das Begehren: Oberösterreich dürfe vor heimischen Gerichten keine Klagen mehr einbringen, die sich auf die Einschränkung oder totale Abschaltung des Betriebs von Industrieanlagen beziehen, die im Einklang mit dem Völkerrecht und nationalem tschechischen Recht gebaut und betrieben werden.

Die Aktiengesellschaft CEZ ist zu 70 Prozent in staatlicher Hand, den Rest halten Kleinaktionäre. Obwohl es CEZ nach der Aussage eines Firmensprechers vor allem um den Schutz seiner Aktionäre geht, die vor der "Beschädigung des guten Unternehmensnamens" durch das Land Oberösterreich geschützt werden sollen, ist der Vergeltungs-Charakter der Klage unübersehbar.

Wie der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer feststellte, ist die CEZ-Klage im Grunde nichts anderes als eine "Retourkutsche" für die von Oberösterreich 2001 beim Landesgericht (LG) Linz eingebrachte vorbeugende Immissionsabwehrklage gegen Temelin.

Oberösterreich hatte Ende Juli 2001 beim LG Linz eine Unterlassungsklage eingebracht, mit der es die Abwehr der von Temelin ausgehenden ionisierenden Strahlung auf Grundstücke des Landes Oberösterreich begehrte, da diese als unzulässige Immission zu werten sei.

Oberösterreich meinte, es handle sich bei der Rechtsstreitigkeit um ein dingliches Recht. Nach Artikel 16 Ziffer 1 lit a) des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (1968) sei daher die Gerichtsbarkeit des Staates gegeben, in dem die unbewegliche Sache - also das oberösterreichische Grundstück - gelegen ist.

Nachdem sich das LG Linz für unzuständig erklärt hatte, kam das im Rekursweg befasste Oberlandesgericht Linz zu dem Schluss, dass österreichische Gerichte für eine solche Klage zuständig seien. Der mit außerordentlichem Revisionsrekurs befasste Oberste Gerichtshof setzte das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) diese Frage zur Vorabentscheidung vor.

Dieser verneinte in seinem Urteil vom Mai 2006 in der Rechtssache C-343/04 die ausschließliche Zuständigkeit österreichischer Gerichte aufgrund des Artikel 16 Ziffer 1 lit a) des Brüsseler Übereinkommens, da es sich bei den Ansprüchen aufgrund der Immission um schadenersatzrechtliche Ansprüche und nicht um ein dingliches Recht handelt.

Melker Prozess

Die zivilrechtliche Klage des Landes Oberösterreich wirft die grundlegende Frage auf, warum denn die Republik Österreich nicht völkerrechtlich gegen die Tschechische Republik vorgegangen ist. Die beiden Staaten haben schließlich eine Übereinkunft betreffend "Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und das Follow up" (BGBl. III 266/2001) erzielt, die zumindest aus österreichischer Sicht ein völkerrechtlich bindendes Regierungsübereinkommen darstellt.

Der Grund ist, dass die Tschechische Republik nicht nur die vertragliche Natur dieser Übereinkunft leugnet, sondern auch die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes (IGH) nicht anerkannt hat. Ebenso wenig ist auch eine unmittelbare Zuständigkeit des EuGH für diese Streitfrage gegeben. Österreich konnte daher nur eine formelle Rechtswahrung deponieren, um seine vermeintlichen vertraglichen Rechte nicht zu verlieren. Klagen kann es Tschechien aber nicht.