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Tempelhüpfen oder Masterplan?

Von Klaus Vögl

Recht
Nur wer gemeinsam lebt, darf miteinander tanzen - in geschlossenen Räumen nur mit Mund-Nasen-Schutz.
© Illustration: adobe.stock/aleutie

Covid-19 und Veranstaltungen: Eine kritische Analyse aus dem Blickwinkel des Veranstaltungsrechts.


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Als Anfang des heurigen Jahres das Coronavirus über uns alle hereinbrach, stellte dies eine generelle Herausforderung für den gesamten Staat und seine Bevölkerung dar, insbesondere für Gesetzgeber und Behörden. Veranstaltungen, die den Löwenanteil des Kulturbetriebes im Land ausmachen, traf es besonders hart. Der komplette Shutdown sollte bis Anfang Juni dauern und bis heute zahlreiche Rechtsfragen offen lassen.

Das Besondere an der Situation war von Beginn an, dass das "traditionelle" Veranstaltungsrecht, das im Wesentlichen Landessache in Gesetzgebung und Vollziehung ist, durch Bundesvorschriften des Gesundheitsrechts überlagert wurde.

Seltsame Auslegung des Epidemiegesetzes

Die ersten Fragen wurden gleich zu Beginn der Krise durch eine seltsame Auslegung des Epidemiegesetzes provoziert. Der maßgebende Paragraf 15 spricht von "größeren Menschenansammlungen durch Veranstaltungen" und erteilt dem Gesundheitsminister eine Verordnungsermächtigung. Abgesehen davon, dass der grundlegende Begriff reichlich (zu?) unbestimmt ist, veröffentlichte das Ministerium per Erlass seine Rechtsansicht, dass der Veranstaltungsbegriff des Gesundheitsrechts über jenen des Veranstaltungsrechts hinausgehe. Und das, obwohl alle neun Veranstaltungsgesetze den Begriff der Veranstaltung einhellig mit den Worten "Schaustellungen, Darbietungen und Belustigungen" umschreiben und der rechtsstaatliche Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtssprache es nahegelegt hätte, dieser Begrifflichkeit tunlichst zu folgen.

Gleichzeitig drehte man die Bestimmung quasi um und verfügte, dass alle größeren Menschenansammlungen eine Veranstaltung seien. Auf diese Weise wurden plötzlich Schulausflüge, Begräbnisse oder das in der Folge stark strapazierte "Yoga im Park" zu Veranstaltungen. Der Rechtssicherheit diente das gewiss nicht. Immerhin, niemals zuvor kam das Wort "Veranstaltung" so häufig in Politikerstatements vor und in der Folge über die Medien.

Die Covid-19-Lockerungsverordnung mit mittlerweile bereits sieben Novellen, die teilweise in einem 14-tägigen Rhythmus lanciert wurden, zuletzt sogar mit zwei Novellen an zwei Tagen hintereinander, geht mit den einzelnen Begrifflichkeiten recht leger um. Unscharf und undefiniert bleibt vor allem die Abgrenzung der Veranstaltungen von den Freizeitbetrieben. Hier erfolgt die Aufteilung, so scheint es, nach einem freihändigen "Wellenbrecher"-Prinzip: du dahin - du dorthin.

Das soll am Beispiel der Paragrafen 9 bis 10a der Covid-19-Lockerungsverordnung erläutert werden: Diese befassen sich mit getrennten Tatbeständen, die sich jedoch teilweise überlagern respektive kumulieren können. Vor allem dann, wenn im Rahmen von Veranstaltungen gastronomische Leistungen angeboten werden oder umgekehrt Veranstaltungen in gastronomischen Betrieben stattfinden: Paragraf 6 Gastronomie, Paragraf 7 Beherbergung, Paragraf 8 Sportbereich, Paragraf 9 Sonstige (Freizeit-)Einrichtungen, Paragraf 10 Veranstaltungen, Paragraf 10a Messen.

Paragraf 9 wäre somit jener für alle Freizeitbetriebe. Hier hakt es daran, dass dieser Begriff nirgends hinreichend definiert ist. Rechtlich korrekt wäre wie folgt einzuordnen: "Veranstaltungen" unterliegen grundsätzlich dem Landes-Veranstaltungsrecht und finden sich in Paragraf 10, und zwar sowohl öffentliche wie private, auf Einladungen beruhende, Veranstaltungen.

Freizeitbetriebe sind auf anderer Rechtsgrundlage, zumeist der Gewerbeordnung, betriebene (Erwerbs-)Tätigkeiten wie zum Beispiel Tanzschulen, Fitnessbetriebe, Messen und Märkte, Fremdenführungen, Tätigkeiten der Reisebüros und Reiseveranstalter, Versteigerungen (Auktionen), Speed-Datings (Partnervermittlung) oder Escape Rooms (Halten erlaubter Spiele) und dem Paragrafen 9 zugeordnet.

Rechtssystematik wird durchbrochen

In Paragraf 9 sind als gelockerte Bereiche genannt: der Besucherbereich von Museen, Ausstellungen, Bibliotheken, Archive samt Lesebereiche sowie sonstige Freizeiteinrichtungen. Die vorher bestehende lange, demonstrative Aufzählung verschiedenster Freizeitbetriebe wurde aufgehoben - man fragt sich: Warum? Um die einzelnen Bereiche künftig willkürlicher zuordnen zu können (Stichwort "Wellenbrecher")? Zur Aufzählung ist anzumerken, dass Museen und Ausstellungen jedenfalls zum Veranstaltungsbereich zählen, hier also die Rechtssystematik durchbrochen wird. Essenziell am Bereich des Paragrafen 9 ist, dass es hier keinerlei Personenzahl-Restriktionen gibt und weder Covid-Beauftragter noch -Präventionskonzept vorgeschrieben sind.

In Paragraf 10 werden beispielsweise als Veranstaltungen genannt: kulturelle und Sportveranstaltungen, Hochzeiten, Filmvorführungen, Ausstellungen, Vernissagen, Kongresse. Bleiben wir zunächst bei den Ausstellungen. Eine Doppelnennung in zwei alternativen Bestimmungen scheint unmöglich. Selbst nach der "Logik" der Lockerungsverordnung kann ein und derselbe Tatbestand nicht gleichzeitig Freizeitbetrieb und Veranstaltung sein. Nicht so nach der telefonisch eingeholten Rechtsinterpretation des Gesundheitsministeriums! Danach sei die Doppelnennung durchaus beabsichtigt: Paragraf 9 meine jene Ausstellungen, die über einen längeren Zeitraum im Verbund eines Museums stattfinden, Paragraf 10 hingegen Ausstellungen als Einzel-Veranstaltungen, zu denen alle Besucher auf einmal kämen.

Die vorherrschende Begriffsverwirrung zeigte sich im Mai am Beispiel des Wiener Wurstelpraters, durchaus zum Leidwesen der Unternehmer. Mit 15. Mai durften die Freizeitbetriebe (etwa Fitnesscenter) wieder aufsperren. Im Prater waren viele der Meinung, da gehöre man dazu, weil hier schließlich Menschen ihre Freizeit verbringen. Nur arbeiten alle Praterunternehmer mit Bewilligungen nach dem Wiener Veranstaltungsgesetz. Daher: Veranstaltungsbereich, also: Öffnung erst am 1. Juni, aber immerhin mit Feuerwerk.

Rund um die Covid-19-Lockerungsverordnung entwickelten sich auch erstaunliche Erzählungen, die von den Unternehmern verinnerlicht wurden. Eine davon betrifft Fremdenführungen, die als Veranstaltungen gereiht und den jeweils aktuellen Personenobergrenzen (10 Personen, 100 Personen, . . .) unterworfen wurden. Frage: Wie kann die Tätigkeit im Rahmen eines (reglementierten) Gewerbes nach der Gewerbeordnung (Bundesrecht) eine Veranstaltung darstellen? Fremdenführungen unterlagen wie alle anderen gewerblichen Tätigkeiten immer nur dem Paragrafen 2 (Kundenbereiche) beziehungsweise, bei Führungen am öffentlichen Grund, Paragraf 1, und da galten niemals Personenobergrenzen.

Eine andere Fehleinschätzung betrifft die Märkte. Diese durften als gewerbliche Dienstleister, geregelt in der Gewerbeordnung, mit 15. Mai wieder hochfahren. Richtigerweise sind Märkte in Paragraf 10 Absatz 1 unter den Veranstaltungsarten nicht genannt. Ein Markt kann daher ohne Covid-Präventionskonzept und -Beauftragten betrieben werden. Dennoch wird beides in mir bekannt gewordenen Fällen durch noch dazu dafür gar nicht zuständige Gemeinden verlangt, obwohl ein Markt rechtlich zu behandeln ist wie jeder Handelsbetrieb, insbesondere auch die großen Shopping Malls (die das auch nicht benötigen).

Den Tanzschulen wurde nahegebracht, der Unterricht in Gesellschaftstänzen sei dem Sportbereich (Paragraf 8) zuzuordnen. Das bedeutet unter anderem: Körperkontakt erlaubt, keine Abstandsregeln. Das würde aufgrund eines simplen Größenschlusses allerdings bedeuten, dass dies auch für den Publikumstanz schlechthin gelten müsste, was von der Verordnung sicher nicht intendiert ist; es könnten dann jegliche Personen ohne Abstandsregeln und Maskenpflicht miteinander tanzen.

Hinsichtlich der Kongresse wurde fälschlich kolportiert, diese würden gemeinsam mit den Messen (Paragraf 10a) wieder hochfahren, was unzutreffend ist. Kongresse sind Veranstaltungen (Paragraf 10, dort namentlich genannt) und unterliegen anders als Messen dem stufenweise Wieder-Hochfahren.

Feiern mitMund-Nasen-Schutz

Auch hinsichtlich der Hochzeitsfeiern wurden die verschiedensten, durch den Verordnungstext nicht gedeckten, Rechtsansichten kolportiert. Durch die jüngste Novelle sollte jedenfalls klargestellt sein, dass gefeiert werden darf, wenngleich - bei nicht zugewiesenen und gekennzeichneten Sitzplätzen - nur mit Mund-Nasen-Schutz (MNS). Miteinander tanzen dürfen nur gemeinsam lebende Menschen, im geschlossenen Raum auch nur mit MNS. Da wird man besser im Freien feiern oder Plätze fix zuweisen! Auch ein eventuell vorgeschriebener Covid-Beauftragter samt Covid-Präventionskonzept wird die Feierlaune nicht erhöhen.

Was wäre aus rechtspolitischer Sicht wünschenswert?

Klarere Begriffsbestimmungen, insbesondere eine präzise, dem übereinstimmenden Landesrecht entsprechende Definition der "Veranstaltung" und eine saubere Abgrenzung der Bereiche Freizeitbetriebe (Paragraf 9) und Sport (Paragraf 8).

Vermeidung schwer operabler Begriffe wie "Kunst und Kultur" und stattdessen präzise Anweisungen.

Verzicht auf sachlich völlig unangebrachte und rechtlich höchst bedenkliche Auflagen wie jene des Paragrafen 11 Absatz 9, neu ab 1. Juli 2020, wonach Veranstalter geschlossener (privater) Events dem Inhaber der Veranstaltungsstätte vorher die Namen der Veranstaltungsteilnehmer zu übermitteln haben; das ist im Hinblick auf den Datenschutz völlig unangebracht und auch geschäftlich unzumutbar.

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