Vor Parlamentswahl wächst die Gewalt im Irak - allein zu Ostern mehr als 60 Tote.
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Bagdad. Youssefs Angst war berechtigt, als er beschloss, die Ostertage nicht in Bagdad zu verbringen. Denn erneut wurde sein Viertel von folgenschweren Bombenanschlägen heimgesucht. Dura liegt am Ostufer des Tigris, im Süden der irakischen Hauptstadt. Hier ist Youssef aufgewachsen, hier ist sein Zuhause. Doch es wird immer schwieriger, in diesem Viertel zu leben. Einst wohnten hier alle Volksgruppen Iraks beieinander: Schiiten, Sunniten, Christen, Araber, Kurden, Assyrer. Youssef und seine Familie sind christliche Assyrer. So wie der Nachbarbezirk Karrada verzeichnet auch Dura viele Kirchen. Die meisten Christen Bagdads wohnen in diesen beiden Stadtvierteln.
Als 2006 der Bürgerkrieg in Bagdad begann, binnen drei Jahren die irakische Hauptstadt verwüstete, Schiiten und Sunniten Feinde wurden und sich gegenseitig umbrachten, gerieten auch die Christen ins Kreuzfeuer der sektiererischen Auseinandersetzungen. Durch eine Mauer quer durch Dura versuchte man die beiden Religionsgruppen auseinanderzuhalten - vergebens. Die Kämpfe wurden immer härter. Sunnitische Moscheen brannten, schiitische Husseinijas, Versammlungshallen für rituelle Zeremonien, wurden bombardiert und auch vor den christlichen Kirchen machte der Terror nicht Halt. Schließlich zogen viele Schiiten aus Dura weg, Sunniten und Christen blieben. Deshalb ist es schwer zu sagen, ob die Anschläge den Christen galten, die das Osterfest feierten, oder es sich dabei um eine Vergeltungsaktion schiitischer Milizen für Anschläge sunnitischer Gruppen handelte. So wie zu Weihnachten, als Sprengsätze auf einem Markt in Dura explodierten und eine Autobombe Christen beim Verlassen der Weihnachtsmesse tötete.
Dass bis jetzt noch niemand die Verantwortung für die neuerlichen Anschläge übernahm, deutet auf eine Schiitenmiliz als Urheber hin. Während die sunnitischen Terrororganisationen, allen voran die Al-Kaida und die auch in Syrien operierende Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (Isis), Bekennerschreiben auf einschlägigen Webseiten platzieren und sich mit ihren Taten brüsten, geben schiitischen Terrorgruppen die Täterschaft selten preis. Beobachter verweisen darauf, dass die Gewalt diverser Terrorbanden darauf abzielt, die Regierungstruppen zu schwächen und zugleich Präsenz zu zeigen. Vor den Parlamentswahlen am 30. April sollen die Bürger eingeschüchtert werden, damit sie nicht zur Wahl gehen. Daher wird in den nächsten Tagen mit weiteren blutigen Anschlägen gerechnet.
Doch die Wahlkommission ist fest entschlossen, den ersten Urnengang seit dem Abzug der US-Truppen aus dem Krisenland durchzuziehen. Es sei trotz der kritischen Lage nicht möglich, die Wahlen hinauszuzögern, heißt es dort. Eine Verschiebung aufgrund der Sicherheitssituation würde das Vertrauen der Bürger in die Regierung und die Sicherheitskräfte weiter schwinden lassen und das Land in noch größeres Chaos stürzen. Die Wahlen müssten deshalb termingemäß abgehalten werden, wird argumentiert. Die irakischen Sicherheitskräfte sollen dabei nach allen Kräften einen reibungslosen Ablauf garantieren.
Polizisten und Studentenals Zielscheiben
Insgesamt fielen am Osterwochenende über 60 Menschen Terroranschläge zum Opfer, die meisten in Bagdad. Am Montag sprengte sich ein Mann an einem Polizei-Kontrollpunkt südlich der Hauptstadt in seinem Auto in die Luft und riss zehn Menschen mit in den Tod. Tags zuvor hatte ein Selbstmordattentäter in einer schiitischen Universität im Stadtteil Khadamija im Norden Bagdads eine Bombe gezündet. Danach stürmten Bewaffnete das Gelände der Imam-Kadhim-Universität und nahmen mehrere Studenten als Geiseln. Nach heftigen Gefechten mit den Entführern konnten die Sicherheitskräfte die Hochschule wieder unter ihre Kontrolle bringen. Allerdings lief die Befreiungsaktion nicht unblutig ab. Mindestens fünf Personen wurden getötet, 15 weitere verletzt. Zu dem Anschlag bekannte sich Isis, die sich zwei Tage zuvor vom Terrornetzwerk der Al-Kaida losgesagt hatte.
Der Grund für die Spaltung: Die Al-Kaida-Ideologie unter der Führung des "gypters Aiman Al Zawahiri ist den Isis-Terroristen nicht radikal genug. Isis war im Irak entstanden, nachdem die amerikanischen Truppen 2003 Diktator Saddam Hussein gestürzt hatten. Die Extremistengruppe unter der Führung von Abu Omar al Baghdadi nannte sich in ihren Anfangszeiten "Al-Kaida im Zweistromland", später dann "Islamischer Staat im Irak". Sie hat ihr Einflussgebiet inzwischen auf die syrischen Rebellengebiete ausgedehnt, wo sie neben dem Assad-Regime auch die Rebellen der Kaida-treuen Al-Nusra-Front bekämpft. Die Isis-Lager in Syrien gelten inzwischen als "erste Adresse" für Dschihadisten aus aller Welt.