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Terror im Namen des Islams in Indien

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Fünf Bombenanschläge in Neu Delhi mit mindestens 23 Toten.


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Neu Delhi. "Auge um Auge, der Staub wird sich nie setzen," begann die e-mail, die wenige Minuten nach der ersten Bombenexplosion bei indischen Medien einging. Binnen einer halben Stunde detonierten am Samstagabend fünf Bomben an beliebten Einkaufsplätzen der Hauptstadt Neu Delhi. Mindestens 23 Menschen starben, mehr als 100 wurden verletzt.

Terroranschläge wie diese häufen sich in Indien; die Muster sind ähnlich: Bomben werden auf Fahrrädern oder zu Fuß an belebte Plätze transportiert und per Zeituhr gezündet. Im 13. Mai starben im Touristenort Jaipur 63 Menschen bei sieben Bombenexplosionen, am 25. Juli gingen in der Software-Metropole Bangalore acht kleine Bomben hoch und töteten zwei Menschen, am 26. Juli erschütterten 16 Bomben Ahmedabad, es gab 56 Tote.

Zu dem Anschlag in der Hauptstadt bekannten sich die "Indische Mudjahedin", ein Ableger des verbotenen Student Islamic Movement of India (SIMI), der vielleicht gefährlichsten militant-religiösen Bewegung Indiens. Die bislang kaum bekannten "Mudjahedin" hatten sich schon zu den Anschlägen in Jaipur und Amedabad bekannt. Der nächste Anschlag gelte der Finanzmetropole Mumbai, dem früheren Bombay, drohten die Attentäter in ihrer Bekenner-e-mail. Mitgeschickt war das Bild eines jungen Muslim, der vor dem entfesselten Mob auf Knien um sein Leben flehte. Eine Anspielung auf das Pogrom von Gujarat 2002, bei denen etwa 2.000 Menschen - die meisten von ihnen Muslime - ums Leben kamen. Die Polizei soll bei den wochenlangen Ausschreitungen im westindischen Bundesstaat tatenlos zugeschaut haben.

Früher hat Indien bei Terroranschlägen wie dem in Neu Delhi gerne die Schuld in der Ferne gesucht - bei den muslimischen Nachbarn Pakistan und Bangladesch. Doch nun musste der Staatssekretär für innere Sicherheit, M.L. Kumawat, jüngst eingestehen: "Die, die im Moment die Anschläge ausführen, sind zum Großteil indische Jugendliche". Die heimischen Bombenleger wollen offenbar Schrecken verbreiten und die in Indien immer wieder aufkommende Zwietracht zwischen Hindus und Muslimen schüren.

Viele der 150 Millionen Muslime diskriminiert

Indiens rund 150 Millionen Muslime haben guten Grund zur Klage. Sie sind mit überwältigender Mehrheit arm und ungebildet, ihre Aufstiegschancen sind schlecht, in einigen Gegenden werden sie unverhohlen diskriminiert. Dennoch schienen sie bislang wenig willig, dem Ruf des Jihads zu folgen. Nur einige wenige - und auch die lediglich aus der umkämpften Provinz Kaschmir - fielen im Irak oder in Afghanistan als terroristische "Gotteskämpfer" auf. Doch die Zurückhaltung indischer Muslime scheint Vergangenheit. "Die Tage der Unschuld sind vorbei", schrieb das Polit-Magazin "Outlook" vor kurzem.

Manche Beobachter glauben, dass es vor allem der Frust daheim ist, der die Muslime in die Arme militanter Organisationen treibt. Die Gewalt in Gujarat 2002 hat bei vielen einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Wie gefährlich diese Entwicklung ist, weiß keiner genau. Der indische Inlandsgeheimdienst, der ein Auge auf die islamistische Untergrund-Truppen halten sollte, hat zugegeben, kaum muslimische Mitarbeiter zu haben, die er als Beobachter auf die Terrorzellen ansetzen könnte. Polizeiliche Ermittlungen nach den Bombenanschlägen der letzten Jahre folgt meist einem ähnlichen Schema: Die Ordnungshüter nehmen umgehend "verdächtige" Muslime fest, doch dann verliert sich die Spur und man hört nichts mehr über den Fall.