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Terror-Serie schafft Ära der Angst

Von Michael Schmölzer

Politik

Priester in Frankreich wurde die Kehle durchgeschnitten - Deutschland erwägt Einsatz von "Reservisten-Truppe".


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Paris/Berlin. Die Serie islamistischer Anschläge in Frankreich - sie findet kein Ende. Noch während die Menschen versuchen, den Anschlag von Nizza vor zwei Wochen mit 84 Toten einigermaßen zu verarbeiten, schockt eine blutige Geiselnahme in einer Kirche das Land. Zwei Täter schnitten einem 84 Jahre alter Priester am Dienstag die Kehle durch, eine weitere Geisel schwebte zuletzt in Lebensgefahr. Die beiden Täter wurden von Spezialkräften der Polizei erschossen. Der sogenannte "Islamische Staat" (IS) bekannte sich zu der Tat.

Die blutige Tat wirkt umso verstörender, als niemand gerade hier mit einem Anschlag rechnen konnte. Denn Saint-Etienne-du-Rouvray ist ein kleiner, beschaulicher Ort 100 Kilometer nordwestlich von Paris, fernab der berüchtigten Problem-Gettos. Die beiden Männer dringen, mit Messern bewaffnet, während der Morgenmesse von der Rückseite in die Kirche ein. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich sechs Menschen in dem Gotteshaus. Der Pfarrer, zwei Ordensschwestern und zwei Gläubige werden als Geiseln genommen. Einer Geisel - ebenfalls eine Ordensschwester - gelingt die Flucht. Sie kann die Polizei alarmieren, die dann rasch am Schauplatz eintrifft. Anti-Terror-Spezialeinheiten umstellen die Kirche und "neutralisieren" die Täter, die offenbar aus der Kirche herausgekommen waren.

Präsident Francois Hollande bezeichnete die tödliche Geiselnahme als "schändlichen Terroranschlag" und sprach einmal mehr von einem "Krieg" gegen den IS. Premier Manuel Valls sprach von einer "barabarischen Attacke" und von "Horror". Ganz Frankreich und alle Katholiken seien verletzt worden.

Der Vatikan verurteilte die "absurde Gewalt" und kritisierte den "barbarischen" Akt. In einem knapp vor dem Anschlag geführten Interview warnte der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn, der sich derzeit beim Weltjugendtag im polnischen Krakau aufhält, vor einer Gettobildung wie in Frankreich.

Christliche Kirchen und Priester sind in Syrien, aber auch in Ägypten immer wieder das Ziel islamistischer Angriffe - bis dato aber nicht in Europa. Der in Syrien lebende Franziskaner-Pater Ibrahim Alsabagh erzählte der "Wiener Zeitung", dass in der nordsyrischen Großstadt Aleppo christliche Kirchen von Dschihadisten während des Gottesdienstes beschossen würden. "Es geht speziell darum, Christen zu töten", so der Priester.

Im Vorjahr hat die französische Polizei eher zufällig ein geplantes Attentat auf zwei katholische Kirchen in Villejiuf im Süden von Paris vereiteln können. Der Verdächtige, ein algerischer Informatik-Student, hatte bereits konkrete Anschlagspläne ausgearbeitet.

Attentäter wollte nach Syrien

Einer der Attentäter vom Dienstag ist der 19-jährige Adel Kermiche. Er wurde in Frankreich geboren, versuchte 2015 zwei Mal, nach Syrien zu reisen. Beide Male wurde er vorher festgenommen, das erste Mal in Deutschland, beim zweiten Versuch in der Türkei. Bei seiner Rückkehr nach Frankreich wurde ein Anklageverfahren eröffnet und Untersuchungshaft angeordnet. Unter strengen Auflagen kam Kermiche jedoch im März mit einer elektronischen Fußfessel wieder frei.

Der konservative Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy forderte noch am Dienstag ein härteres Vorgehen bei der Terrorismusbekämpfung. "Wir müssen unerbittlich sein", sagte der Oppositionsführer und warnte vor "juristischen Haarspaltereien", die die Arbeit der Behörden behindern könnten. Sarkozy fordert, polizeibekannte Gefährder in Internierungslagern einzusperren, was die regierenden Sozialisten aus verfassungsrechtlichen Gründen ablehnen.

Die fatale Reihe von Anschlägen in Frankreich begann im Jänner 2015 mit dem Angriff auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo". Im Juni hatte der wegen seiner Kontakte zur Salafisten-Szene bekannte Yassin Salhi seinen Chef enthauptet und dessen Kopf neben islamistischen Flaggen an den Zaun eines Gaslagers nahe Lyon gehängt. Er nahm sich im Gefängnis das Leben. Im August konnte ein Blutbad in einem Schnellzug auf dem Weg von Amsterdam nach Paris gerade noch verhindert werden. Im November forderten die Bataclan-Anschläge in Paris 130 Todesopfer, am 7. Jänner dieses Jahres attackierte ein Mann ein Pariser Polizeirevier mit einem Fleischerbeil, er wurde erschossen. Bei dem toten Angreifer wurde ein Bekennerschreiben mit einer IS-Fahne entdeckt. Wenige Tage nach dem Beginn der Fußball-EM tötete ein vorbestrafter Islamist bei Paris einen Polizisten und dessen Lebensgefährtin.

Amoklauf in Berlin

Experten gehen davon aus, dass Anschläge, wie sie zuletzt auch in Deutschland stattgefunden haben, zu einem Nachahmer-Effekt führen. Amokläufer und Attentäter wollen sich nicht als Massenmörder, sondern als Attentäter mit einer Botschaft verstanden wissen. Wobei laut dem Gewaltforscher Nils Böckler die Radikalisierungsdauer immer mehr abnimmt, was es der Polizei immer schwerer macht, einzugreifen. Es handelt sich bei den Taten in erster Linie um erweiterte Selbstmorde, die islamistisch verbrämt sein können - aber nicht sein müssen.

Wie ein Attentat, das sich am Dienstag in einer Berliner Klinik ereignete, zeigt: Ein 72-jähriger Mann erschoss in einem Krankenhaus in Steglitz einen Kieferchirurgen und beging dann Selbstmord. "Es war wohl weniger Rache als Verzweiflung", sagte der Ärztliche Direktor der Klinik, Ulrich Frei, über das Motiv.

In Deutschland wird angesichts dieser Taten über verschärfte Sicherheitsmaßnahmen diskutiert. Nach den jüngsten Anschlägen und dem Amoklauf von München überlegt die Regierung laut "Bild"-Zeitung, eine neue "Reservisten"-Truppe könnte die Polizei unterstützen. Dabei solle es sich um Freiwillige mit militärischer Ausbildung handeln. Derweil wird in Frankreich und Deutschland die Angst von Rechtspopulisten weidlich ausgenutzt.