Die Al-Shabaab verübt an einer kenianischen Universität ein Massaker. Die Gotteskrieger treffen damit das Tourismusland ins Herz.
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Garissa/Wien. Das Almond Resort sieht in vielerlei Hinsicht aus wie die meisten anderen Hotels auf der Welt. Es gibt eine großzügige Lobby mit Sitzgelegenheiten, einen weitläufigen Garten und einen Pool. Doch wer sich außerhalb des Hotels befindet, in dem hauptsächlich UN-Diplomaten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen absteigen, erkennt sofort den Unterschied. Ein meterhoher Zaun aus Metallstangen umgibt das Almond Ressort.
Die Angst ist im ostkenianischen Garissa ein ständiger Begleiter. Die Stadt sei nicht sicher, raunen die Bewohner dem Besucher immer wieder zu. Man solle nur ja auf der Hut sein. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Garissa ist die letzte große kenianische Stadt vor der Grenze zu Somalia, wo es nach knapp 25 Bürgerkriegsjahren noch immer keine Chance auf Frieden gibt. Und immer wieder sickern die Kämpfer der somalischen Al-Shabaab, die gegen die Zentralregierung in Mogadischu kämpfen, in das riesige kenianische Flüchtlingslager Dadaab ein, das knapp 100 Kilometer von Garissa entfernt liegt. Von dort aus können die islamistischen Gotteskrieger den Terror dann weiter ins Kernland Kenias tragen.
Wie begründet die langjährige Sorge der Menschen in Garissa ist, hat der Donnerstag vor Augen geführt. Gegen 5.30 Uhr tauchen plötzlich mehrere maskierte Männer im Eingangsbereich der lokalen Universität auf und eröffnen das Feuer. Nachdem die Wachleute überwältigt sind, stürmen die Angreifer auf den Campus und suchen dort nach weiteren Zielen. "Sie haben willkürlich auf alle fliehenden Studenten geschossen", gibt der Hochschüler Abdi Fatah nach seiner gelungenen Flucht zu Protokoll. Viele haben nicht so viel Glück wie Fatah. Bis zum Abend zählen die kenianischen Sicherheitsbehörden 147 Tote und dutzende Verletzte.
Dass es nicht bei den zunächst gemeldeten 14 Todesopfern bleiben wird, ist allen in Garissa schon früh bewusst. Denn die Angreifer haben auf dem später von Polizei- und Armee-Einheiten abgeriegelten Campus Geiseln genommen und sich in einem der vier Schlafsäle verschanzt.
Wie viele Menschen sich in der Hand der Terroristen befinden, ist den Einsatzkräften draußen zunächst nicht klar. Man weiß lediglich, dass sich 280 der 815 Studenten in Sicherheit befinden, die Zahl der Geiseln könnte damit bei ein oder zwei Dutzend liegen aber ebenso bei einigen hundert. Was die Behörden allerdings ganz genau wissen, ist die Konfession der Festgehaltenen. Man habe alle Muslime gehen lassen, erklärt die Al-Shabaab, die sich bereits nach kurzer Zeit zu dem Angriff bekennt. Damit ist klar, dass das Leben der christlichen Geiseln in höchster Gefahr ist. Denn die Al-Shabaab eifert in ihrer Methodik immer mehr dem Islamischen Staat nach, der zunehmend als "Role Model" des Terrors gilt und mit seinen grausamen Hinrichtungen weltweites Aufsehen auf sich zieht. Erst im Dezember hatte die somalische Miliz 38 christliche Minenarbeiter gezielt hingerichtet, dabei wurden auch einige von ihnen nach IS-Vorbild enthauptet.
Der IS als Vorbild
Dass die Attacke auf die Universität von Garissa gerade jetzt erfolgt ist, dürfte aber nicht nur damit zu tun haben, dass sich die Al-Shabaab angesichts der Schlagzeilenflut, die der IS produziert, wieder ins Bewusstsein rufen will. Die Islamisten, die für die Errichtung eines Gottesstaates in Somalia kämpfen, sind in ihrer Heimat zuletzt stark unter Druck geraten. So gelang es der Eingreiftruppe der Afrikanischen Union, die von Kenia massiv unterstützt wird, Anfang März den wichtigen Bezirk Masjid Ali Gadud im Süden des Landes zurückzuerobern. Das Gebiet gilt als wichtige Transitstrecke der Terrorgruppe. Zwei Wochen später konnten somalische Sicherheitskräfte in Mogadischu einen wichtigen Kommandanten der Miliz festnehmen, der dort Anschläge plante. Und im Südwesten des Landes wurde bei einem Drohnenangriff Aden Garar getötet, einer der mutmaßlichen Drahtzieher der Terrorattacke auf das Einkaufszentrum Westgate in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, bei der 2013 knapp 70 Menschen ums Leben kamen.
Doch auch wenn die somalischen Gotteskrieger derzeit militärisch an Boden zu verlieren scheinen, geht ihre grausame Rechnung an anderer Stelle ganz klar auf. Denn mit ihren Anschlägen trifft die Al-Shabaab die Tourismusnation Kenia tief ins Herz. Seit Bombenanschläge und Massaker an Andersgläubigen die internationalen Nachrichten über das wirtschaftlich stärkste Land Ostafrikas dominieren, kommen deutlich weniger Besucher, um in den großen Nationalparks auf Safari zu gehen.
Bisher hatte die kenianische Regierung versucht, ausländische Touristen zu beschwichtigen. Erst am Mittwoch hatte Präsident Uhuru Kenyatta erklärt, sein Land sei ein sicheres Urlaubsziel. Gleichzeitig forderte das Staatsoberhaupt die Keniaer im Ausland auf, diese Botschaft weiter zu verbreiten. Seit dem Anschlag in Garissa wird ihnen das allerdings sehr schwer fallen.