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Terrorangst geht um in Deutschland Sind die "Schläfer" erwacht?

Von Markus Kauffmann

Analysen

Das Video zeigt einen schwarzhaarigen jungen Mann in dunkler Hose und langem weißen T-Shirt, wie er an einem Perron des Kölner Hauptbahnhofs einen Trolley abstellt. Keine aufregende Szene - wären nicht in dem Koffer Gas- und Bezinflaschen sowie ein Reisewecker als Zünder verstaut. Die Bombe sollte am Montag, den 31. Juli, um 14:30 Uhr im Zug nach Hamm explodieren. Zeitgleich sollte im Zug nach Koblenz ein ähnlicher Sprengsatz hochgehen. Die Bomben wurden auch gezündet.


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Einem winzigen handwerklichen Fehler hat Deutschland zu danken, nicht Schauplatz einer Terrorkatastrophe wie in London oder Madrid geworden zu sein. Noch nicht?

Zwar hat man einen der Attentäter, einen 21-jährigen libanesischen Studenten, verhaftet, zwar läuft die Fahndung nach dem zweiten Bombenleger auf Hochtouren; aber es ist völlig unklar, wie viele potenzielle Terroristen in Deutschland leben: "Wir wissen gar nicht, wen wir hier alles noch haben", meint Innenminister Wolfgang Schäuble. Man befürchtet, dass sogenannte "Schläfer", die jahrelang als ganz normale Bürger mitten unter uns leben - wie der junge Libanese -, nun von Terrorgruppen aktiviert werden.

Alles weist auf den Dauerkrisenherd Nahost und den akuten Brennpunkt Libanon hin. Trotz Zögerns ist Bundeskanzlerin Angela Merkel bereit, deutsche UN-Soldaten in den Libanon zu schicken. Sie bedauert zwar, dass man sich bisher zu sehr auf militärische Optionen konzentriert habe und zu wenig "an die Wurzeln des Konflikts" herangegangen sei. Doch selbst dies könnte die Sicherheitslage in Europa nur langfristig entspannen.

Über Sofortmaßnahmen wird heftig diskutiert. Mit dem Ausbau der Videoüberwachung tun sich die Linken und die Liberalen aus Datenschutz-Gründen seit Jahren schwer. Unter dem Druck der Ereignisse und Fahndungserfolge lenkte der Koalitionspartner SPD ein. Auch die Bahn kündigte an, die Videoüberwachung auszuweiten. Bundesweit gibt es mehrere tausend Kameras auf den 5700 Bahnhöfen.

Darüber hinaus sind nach Meinung des CDU-Sicherheitsexperten Wolfgang Bosbach "dringend Sicherheitslücken zu schließen, über die schon seit Jahren diskutiert wird", vor allem die für September anberaumte Verabschiedung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes, die Einführung einer "Anti-Terror-Datei" und die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung. Die "Anti-Terror-Datei" ist eine Datenbank für alle Ermittlungsbehörden (Geheimdienste, Polizei, Zoll), die bisher nicht zusammenarbeiteten. Weniger Chancen hat hingegen der Vorschlag, sogenannte "Rail-Marshalls", also bewaffnete Zugbegleiter - ähnlich wie in Flugzeugen - einzusetzen. Ein großer Aufwand - bei 30.000 Zügen pro Tag.

Bisher dachten die Deutschen, nicht gerade im Fokus des internationalen Terrorismus zu stehen. Doch nun müssen sie erkennen, dass die "Bedrohung noch nie so nah" war, wie Schäuble formulierte.

Siehe Artikel:Deutschland: Streit um Überwachung