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Terrorangst vor Olympia

Von WZ-Korrespondent Robert Kalimullin

Politik

Konflikt im Nordkaukasus wird wieder blutig in Erinnerung gerufen.


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Kasan/Wolgograd. Es herrschte Berufsverkehr in der südrussischen Millionenstadt Wolgograd, als im Oberleitungsbus 15A eine Bombe explodierte und 14 Menschen in den Tod riss. Der Anschlag ereignete sich weniger als 24 Stunden nach einem Selbstmordattentat am Wolgograder Bahnhof, bei dem 16 Menschen starben.

Mindestens 36 Menschen mussten damit seit Oktober, als eine mutmaßliche Islamistin sich in einem Bus in die Luft sprengte, bei drei Anschlägen in Wolgograd ihr Leben lassen. Auch ohne Bekennerschreiben gibt es kaum jemanden, der die Anschlagsserie nicht in Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen bringen würde, die am 7. Februar in der etwa 700 Kilometer von Wolgograd entfernten Schwarzmeer-Stadt Sotschi eröffnet werden sollen.

Es war die einzigartige Lage Sotschis, das Strände und subtropisches Klima mit schneebedeckten Gipfeln verbindet, die den Ort zu einem idealen Austragungsort für die Olympiade machen sollten. Ein Blick auf die Landkarte offenbart jedoch schnell die problematische Nachbarschaft des Badeortes: Die Gipfel sind jene des Kaukasus, dem Krisenherd Russlands, der seit den Tschetschenienkriegen in den 1990er Jahren nicht zur Ruhe kommt.

Oberflächlich gelang Präsident Wladimir Putin eine gewisse Befriedung der Region. In Tschetschenien regiert Ramsan Kadyrow, der im Austausch gegen uneingeschränkte Loyalität zu Putin und Moskau zu Hause nach eigenem Ermessen schalten und walten darf. Während Tschetschenien damit oberflächlich stabil ist, sind etwa in der Kaukasusrepublik Dagestan Terroranschläge an der Tagesordnung. Ein Überbleibsel der Tschetschenienkriege sind zudem die islamistischen Untergrundkämpfer um Doku Umarow, der im Sommer zu Anschlägen gegen die Olympischen Spiele aufrief.

Sotschi ist nicht nur geografisch nahe zu den Unruheregionen des Kaukasus, es ist zudem für viele ein symbolbeladener Ort. 1864 kam es hier zur letzten Schlacht im Kaukasuskrieg, in dem Russland sich die Region mit militärischer Gewalt unterwarf. Für das Volk der Tscherkessen, dessen Angehörige nach dem Krieg zu Hunderttausenden in die Emigration gingen, haben die Ereignisse Völkermordcharakter. Vor diesem Hintergrund sind die Äußerungen Doku Umarows zu verstehen, die Olympiade in Sotschi würde "auf den Gebeinen" vieler Muslime stattfinden.

Als zusätzliches Sicherheitsproblem für Sotschi gilt auch die unmittelbare Nähe zu Abchasien, dessen Abspaltung von Georgien international praktisch nur von Russland anerkannt wird. Die Grenze zu Abchasien soll während der Olympischen Winterspiele geschlossen bleiben, um ein Einsickern von Terroristen zu verhindern. Und auch sonst wähnte sich Russland durch zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen gut gerüstet gegen jegliche Gefährdungen der Spiele.

Die ohnehin hohe Präsenz von Sicherheitskräften wird nach den jüngsten Anschlägen noch höher ausfallen. Neben 37.000 Polizisten wird auch das Katastrophenschutzministerium voraussichtlich 23.000 Personen entsenden. Die Internetüberwachung steht in Russland trotz des viel beachteten Asyls für den Whistleblower Edward Snowden der amerikanischen in nichts nach. Ein gerade verabschiedetes Gesetz erlaubt zudem die Blockade von Webseiten mit "extremistischen" Inhalten ohne richterliche Anordnung.

Oppositionelle befürchten, das Gesetz werde in Zukunft dazu dienen, Aufrufe zu nicht angemeldeten Demonstrationen zu unterbinden. Auch andere Sicherheitsmaßnahmen haben einen bitteren Beigeschmack: So wurde etwa bekannt, dass Russland im Nordkaukasus gezielt DNS-Proben muslimischer Frauen sammelte, die so pauschal unter Terrorismusverdacht gestellt wurden. Alle diese Sicherheitsvorkehrungen vermochten die Anschläge von Wolgograd nicht verhindern. Das Internationale Olympische Komitee sprach Russlands Verantwortlichen dennoch vorerst sein Vertrauen aus.