Untersuchungskommission zum Wiener Attentat erklärt in erstem Zwischenbericht, keine der Schwächen im Vorfeld könne als "kausal" für den Anschlag gewertet werden. Deutliche Kritik gibt es dennoch an den Verfassungsschützern im Vorfeld des Anschlags.
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Wenn es nach der Untersuchungskommission rund um den Terroranschlag durch einen IS-Sympathisanten am 2. November in der Wiener Innenstadt geht, so wären keine gesetzlichen Änderungen im Strafrecht notwendig, wie sie die türkis-grüne Bundesregierung mit dem nun in Begutachtung geschickten Anti-Terrorpaket vornimmt. Was das bestehende Terrorismusstrafrecht betrifft, so mache der konkrete Fall "kein Defizit sichtbar", heißt es im Justizteil des Zwischenberichts der Kommission, der der "Wiener Zeitung" vorliegt. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Mängel und Verbesserungsmöglichkeiten gibt: Es müsse die "Deradikalisierungsarbeit" im Vollzug verbessert werden, bei Fallkonferenzen sollen verschiedene Institutionen zur Abwehr von Terrorgefahren beitragen.
Eine "erste Einschätzung" der Untersuchungskommission unter dem Vorsitz der Wiener Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes in dem knapp 25 Seiten umfassenden Zwischenbericht nimmt auch konkret Bezug auf verschiedene Pannen Wochen vor dem Terrorattentat am 2. November. Nachrichtendienste aus der Slowakei und Deutschland hatten Verfassungsschützern in Österreich demnach auf einen versuchten Waffenkauf in Bratislava und auf Treffen des Attentäters heuer im Sommer mit deutschen Extremisten hingewiesen. Genauere Nachforschungen sind aber nach bisherigem Wissensstand offenbar unterblieben.
Deutlich Kritik an Pannen und Fehlern kommt dabei im Bericht zum Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz BVT, und dem Wiener Verfassungsschutz, dieser Teil ging an Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Was die Arbeit des Verfassungsschutzes betrifft, mache es den "Anschein", dass die verschiedenen Kriterien, nach denen sich insgesamt durchaus eine Entwicklung des Attentäters "in Richtung einer gesteigerten Radikalisierung abzeichnet, immer nur nur punktuell und teilweise verzögert gesehen wurden", wird in Papier der Untersuchungskommission festgestellt.
Keine Meldung an die Staatsanwaltschaft
Niemand habe die Ereignisse bei den Verfassungsschützern zum Anlass genommen, für den spätern Attentäter eine "höhere Gefahreneinstufung" vorzunehmen. "Unklar bleibt auch, warum keiner der Sachverhalte an die Staatsanwaltschaft gemeldet wurde", wird im Bericht der Kommission beanstandet. Es hätte zumindest ein Verfahren zum Widerruf der bedingten Entlassung des Attentäters eingeleitet werden können, prangern die Experten daher an.
In Gesprächen hätten Mitglieder des Bundesamts und des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz ihre hohe Belastung und fehlende technische und personelle Ressourcen beklagt, wird im Bericht angeführt. Darüber hinaus sei beim BVT eine "große Verunsicherung der Belegschaft" wahrnehmbar, analysiert die Untersuchungskommission. Diese sei insbesondere auf die Durchsuchungsaktion 2018 (während der Amtszeit von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, Anm.) zurückzuführen, heißt es im Zwischenbericht.
Keine Antwort auf "Was wäre, wenn"-Frage
Allerdings heißt es später im Zwischenbericht wörtlich: "Es wird nie festgestellt werden können, welche Reaktionen der Behörden auf die Entwicklungen von K.F., (Attentäter, Anm.) die nun rückblickend zusammengeführt werden, auf welche Weise bei K.F. gewirkt hätten." Darauf folgt der zentrale Satz: "Keine der festgestellten Schwächen im Informationsfluss, keine Verzögerung kann auch nur annähernd als kausal für den Anschlag vom 2. November gewertet werden." Daran schließt: ",Was wäre passiert, wenn' – eine solche Frage, auf die sich viele eine einfache Antwort wünschen, lässt sich nicht lösen. Eine risikofreie Gesellschaft kann es ebenfalls nicht geben."
Das bedeutet aber nicht, dass die Untersuchungskommission keine Mängel festgestellt hat. Die zwei Kernpunkte der Beanstandungen und Verbesserungsvorschläge betreffen die Deradikalisierung verurteilter Täter und die verstärkte Zusammenarbeit von Behörden durch Fallkonferenzen.
Deradikalisierung und Fallkonferenzen
Was die Resozialisierung betrifft, wird im Bericht bezüglich religiöser Extremisten festgehalten: "Insgesamt und unabhängig vom konkreten Fall ergibt sich aus den Gesprächen der Kommission im Bereich der Bewährungshilfe und Betreuung allerdings nachvollziehbar, dass die Deradikalisierungsarbeit, die gerade auch bereits im Vollzug wichtig wäre, strukturell und gesetzlich besser verankert und finanziell besser ausgestattet werden müsste." Wäre der Versuch eines Kaufs eines Sturmgewehres bekannt gewesen, hätten die Gespräche der Betreuer "wohl den eher harmlosen Boden einer abstrakten Diskussion über Religion verlassen", meinte die Kommission. Möglicherweise wäre die Staatsanwaltschaft eingeschaltet worden.
Anregt wird auch eine verstärkte Zusammenarbeit von Behördeneinrichtungen. "Es liegt nahe, im Hinblick auf Straftäter/innen, die wegen einer terroristischen Straftat verurteilt wurden, die Einrichtung von Fallkonferenzen zu erwägen, in denen die verschiedenen Institutionen, die alle zur Gefahrenabwehr beitragen sollen, in einem vertraulichen Rahmen regelmäßig Informationen austauschen", heißt es im Bericht.
Justizministerin Alma Zadic (Grüne) ist der Ansicht, es spreche nichts dagegen, den Justizteil des Kommissionsberichts öffentlich zugänglich zu machen, wie sie das getan hat. Verbesserungen bei Deradikalisierung und Fallkonferenzen würden mit dem Anti-Terror-Paket nun bereits umgesetzt, betonte Zadic.