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"Terroristen sind nicht psychisch krank"

Von Daniel Bischof und Petra Tempfer

Politik

Die Regierung will terroristische Straftäter im Maßnahmenvollzug unterbringen. Welche Möglichkeiten gibt es dafür?


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Seit Jahren fristet er ein trauriges Dasein. Hie und da wird er noch aus den Schubladen hervorgeholt, doch kaum entstaubt, wird er auch schon wieder weggeräumt. Der Entwurf zur Reform des Maßnahmenvollzugs ist eines der ungeliebten Stiefkinder der Justiz.

Bereits 2014 startete Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) einen Reformprozess, der die Unterbringung von geistig abnormen Rechtsbrechern auf neue Beine stellen sollte. Neue Justizminister kamen und gingen. Geschehen ist seither aber nichts. Der Entwurf sei zwar "fast fertig", meinte etwa Justizminister Clemens Jabloner im Jahr 2019. Doch sei die Umsetzung zu teuer.

Der Rechnungshof mahnt immer wieder Reformen im Straf- und Maßnahmenvollzug ein. In einem aktuellen Bericht legt er Missstände dar, am Freitag wird darüber im Nationalrat debattiert. Auch der islamistische Terroranschlag am 2. November in Wien hat dem Thema wieder Aufwind verschafft, wenn auch mit einer anderen Stoßrichtung. Die türkis-grüne Bundesregierung schnürt ein Anti-Terror-Paket. Darunter: die Unterbringung terroristischer Straftäter im Maßnahmenvollzug, von der ÖVP als "Präventivhaft" bezeichnet. Ein erster Teil des Pakets soll Anfang Dezember in Begutachtung gehen.

Details sind noch kaum bekannt. Auch in der Regierung dürfte noch Unklarheit herrschen. "Wenn ein geistig abnormer Rechtsbrecher lebenslang weggesperrt werden kann, wenn er eine Gefahr darstellt, kann auch ein Terrorist lebenslang weggesperrt werden", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer meinte: Potenzielle Terroristen einfach so lebenslang wegzusperren, werde es aus ihrer Sicht nicht spielen. Es gehe auch nicht um den Maßnahmenvollzug für psychisch Kranke, sondern um eine eigene Unterbringung analog zu gefährlichen Rückfalltätern.

Strafrechtler Alexander Tipold und Friedrich Forsthuber, Präsident des Wiener Straflandesgerichts, warnen vor "Schnellschüssen". "Das muss man behutsam angehen und überlegen, wo es Verbesserungspotenzial gibt", so Forsthuber. Auch Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner ist skeptisch und spricht von einem "Missbrauch der Psychiatrie".

Abbau der Gefährlichkeit

Doch zuvor die Hintergründe: Im Maßnahmenvollzug werden geistig abnorme, entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher und Rückfalltäter in eine Anstalt eingewiesen. In der Praxis ist die Unterbringung geistig abnormer Rechtsbrecher (§ 21 Strafgesetzbuch) die wichtigste Art des Maßnahmenvollzugs. Unterschieden werden hier zwei Formen der Einweisung.

Einerseits jene für zurechnungsunfähige Personen, die mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft werden können. Andererseits jene für zurechnungsfähige Personen, die die Tat aber unter dem Einfluss einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad begehen: Bei ihnen wird die Unterbringung zusätzlich zum Schuldspruch verhängt.

Bei der Frage, ob die Person zurechnungsfähig ist, ist laut Kastner etwa entscheidend, ob sie zum Tatzeitpunkt das Unrecht der Tat einsieht und danach handeln konnte: "Wenn jemand zum Beispiel eine bestimmte Straftat begeht, weil er sagt, Gott habe ihm das aufgetragen, dann war er dabei ziemlich sicher zurechnungsunfähig. Wenn er sie ohne diesen Auftrag begangen hat, war er zurechnungsfähig."

Ziel ist es, die geistig abnormen Rechtsbrecher unter Freiheitsentzug zu behandeln und ihre Gefährlichkeit abzubauen. Die Unterbringung erfolgt auf unbestimmte Zeit, solange der Gerichtsgutachter die Person als gefährlich einstuft. Allerdings gibt es einen bedeutenden Unterschied: Zurechnungsunfähige Personen werden aus der Anstalt entlassen, sobald sie als ungefährlich gelten. Das kann nach ein paar Jahren, mitunter aber auch nie der Fall sein.

Anstalten überlastet

Zurechnungsfähige Rechtsbrecher werden hingegen in die Strafhaft überstellt, falls die Strafzeit noch nicht abgesessen ist. Ein Beispiel: Eine zurechnungsfähige Person wird zu zehn Jahren Haft verurteilt und in eine Anstalt eingewiesen. Nach fünf Jahren hält ein Gutachter den Täter für ungefährlich. In diesem Fall muss dieser noch für fünf Jahre in Strafhaft in ein "normales" Gefängnis.

Mit Stichtag 11. November waren in Österreich 1.264 geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht. Davon sind 679 zurechnungsunfähig, 87 sind in vorläufiger Anhaltung (also insgesamt 766). Zusätzlich befinden sich 498 zurechnungsfähige, geistig abnorme Rechtsbrecher in der Maßnahme, davon zwei vorläufig.

Mit dieser Anzahl ist der Maßnahmenvollzug überlastet. Laut Justizministerium liegt die Auslastung bei mehr als 120 Prozent. Besonders in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Einweisungen gestiegen: 2015 waren noch rund 800 geistig abnorme Rechtsbrecher und damit um rund 450 weniger als heute untergebracht.

Neben der Unterbringung für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher, die auf drogen- oder alkoholsüchtige Täter abzielt, gibt es die Unterbringung gefährlicher Rückfallstäter (§ 23 StGB). Sie ist bei Personen ab 24 Jahren möglich, die bereits zweimal etwa wegen Gewalt- oder Sexualdelikten verurteilt wurden und nun wieder wegen einer solchen Straftat zu einer mindestens zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt werden. Diese Bestimmung gilt als "totes Recht", sagt Strafrechtler Tipold. In Österreich befindet sich kein einziger gefährlicher Rückfallstäter im Maßnahmenvollzug.

Bei diesem bisher nicht genutzten Paragrafen will die Bundesregierung offenbar bei Terroristen ansetzen. Der Gesetzgeber könnte entscheiden, dass auch terroristische Straftaten zur Unterbringung als gefährliche Rückfallstäter führen können und das in § 23 StGB oder einem neuen Paragrafen festhalten, sagt Tipold.

Haft dient Resozialisierung

Der Strafrechtler sieht solche Pläne aber skeptisch. Der Grund: Die Unterbringung erfolgt bei diesen Personen erst nach Verbüßung der Freiheitsstrafe. Wird ein Rückfallstäter zu drei Jahren Haft verurteilt und eine Einweisung verhängt, muss er zunächst drei Jahre im Gefängnis sitzen, dann kommt er erst in die Anstalt.

"Deshalb wurde das bisher kaum angewandt", so Tipold. Denn die Haft diene auch der Resozialisierung: "Und damit man mit den Menschen arbeiten kann, brauchen sie eine Perspektive, dass sie nach einem Teil der Strafhaft rauskommen." Wenn der Häftling aber wisse, dass er nach dem Gefängnis auf unbestimmte Zeit in eine Anstalt muss, scheitern die Resozialisierungsbemühungen: "Dann haben sie keine Perspektive und machen nicht mit."

Auch Forsthuber sieht in der Bestimmung derzeit kein "sinnvolles Instrumentarium": "Man würde auch ohne sie auskommen." Zudem sei fraglich, ob eine Person, die mehrmals Terrordelikte begeht, nicht ohnehin unter einer schweren Persönlichkeitsstörung leide, sagt Forsthuber. Dadurch könnte der Täter als zurechnungsfähiger, geistig abnormer Rechtsbrecher in eine Anstalt eingewiesen werden. Kastner ist hier hingegen skeptisch: "Terroristen sind in der Regel nicht psychisch krank, sondern unzufriedene Fanatiker."

Gutachter fehlen

Kastner und ihre Kollegin Gabriele Wörgötter, Psychiaterin und Gerichsgutachterin, sehen im Maßnahmenvollzug ganz andere Baustellen. Laut Kastner müssen zurechnungsunfähige Straftäter künftig untergliedert werden. Für jene, die an einer dauerhaften, schwer behandelbaren Störung wie Demenz oder Autismus leiden, müsse eine eigene Einrichtung geschaffen werden. "Wenn absehbar ist, dass eine Heilung nicht in Sicht ist, wären die Betroffenen in Langzeitstationen besser aufgehoben."

Wörgötter spricht sich für mehr Nachsorgeeinrichtungen wie zum Beispiel Wohngemeinschaften aus. "Es bräuchte doppelt so viele", sagt sie. Im Maßnahmenvollzug selbst gebe es grundsätzlich "viel zu wenige Therapieangebote und forensisch-therapeutische Zentren" - dabei hänge dessen Erfolg und somit Entlastung von diesen ab.

Auch bei den psychiatrischen Gutachten ortet Wörgötter Probleme. Sie setzt sich dafür ein, dass vor allem bei der (bedingten) Entlassung besonders heikler Fälle aus den Anstalten künftig mehrere Psychiater beigezogen werden. Derzeit bleibt diese Entscheidung einem einzigen Arzt überlassen.

Allerdings werde sich das nur schwer verwirklichen lassen, da es bereits jetzt zu wenige Sachverständige gebe, so Wörgötter. Diese seien so rar gesät, dass Gerichte auch auf Sachverständige mit wenig Erfahrung in diesem Gebiet zurückgreifen müssten. Darunter leide die Qualität der Gutachten.

Der Grund dafür sei die schlechte Bezahlung, so die Ärztin. Für einen psychiatrischen Befund bekommen Sachverständige je nach Gerichtssprengel pauschal meist 116,20 Euro, in einigen Fällen 195,40 Euro. Wer für Kriminalprognostik zertifiziert ist, könne zwar für ein Prognosegutachten zusätzlich einen Stundenlohn von 240 Euro verrechnen. "Die Revisoren der Gerichte können die Stunden aber wieder streichen und die Gebührennote als überhöht zurücksenden", so Wörgötter, "was auch oft passiert." Abhilfe soll das neue Justizbudget schaffen: Der Gebührentopf für die Psychiater wird künftig um drei Millionen Euro erhöht.

Mehr Geld gibt es auch für die Sonderstrafanstalt Asten, in der zurechnungsunfähige Straftäter untergebracht sind. Sie erhält derzeit um 17 Millionen Euro einen Zubau mit 100 Plätzen (auf 300 Plätze). Die Fertigstellung ist für Ende 2022 geplant. Eine große Reform des Maßnahmenvollzugs ist aber nicht in Sicht. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) betont immer wieder, wie wichtig ihr das Thema sei. Das haben aber auch schon ihre Vorgänger getan.