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Testlauf für USA: EU schließt Freihandelspakt mit Kanada

Von WZ-Korrespondent Jörg Michel

Wirtschaft

98 Prozent der Zölle fallen, Handelsvolumen soll 20 Prozent steigen.


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Edmonton. Mehr als vier Jahre haben sie verhandelt, nun ist es so weit. Die EU und Kanada haben sich auf ein umfangreiches Freihandelsabkommen geeinigt. Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der kanadische Premierminister Stephen Harper unterzeichneten am Freitag eine entsprechende Vereinbarung.

Die beiden Parteien wollen die Zollschranken für Güter und Dienstleistungen schrittweise abbauen und die Exportquoten für Agrarprodukte deutlich erhöhen. 98 Prozent aller Zölle sollen fallen. Unternehmen der jeweils anderen Seite sollen sich leichter für öffentliche Aufträge im Ausland bewerben können. Außerdem werden zahlreiche technische Standards und Zulassungsverfahren vereinheitlicht. Für die EU ist es der erste Freihandelspakt mit einem Land der sieben größten Wirtschaftsnationen (G7). Laut Experten in Brüssel dürfte sich das Handelsvolumen zwischen beiden Seiten damit um bis zu zwanzig Prozent erhöhen. Die Regierung in Ottawa rechnet alleine für Kanada mit rund 80.000 neuen Arbeitsplätzen.

Marktzugang erleichtert

Für beide Seiten bietet das Abkommen mehrere strategische Vorteile. Die Europäer sehen darin eine Art Testlauf für den geplanten Freihandelspakt mit den USA, der für die kommenden Jahre avisiert ist. Dieser Freihandelsraum wäre der weltweit größte und umfangreichste, sollte er tatsächlich zustande kommen.

EU-Unternehmen erhalten außerdem einen leichteren Zugang zum kanadischen Markt und können ihre technischen Produkte leichter an die in Kanada dominierende Rohstoffindustrie verkaufen. Für die EU ist das Land bereits heute der zwölftgrößte Handelspartner und der Pakt spült nach Schätzungen etwa elf Milliarden Euro im Jahr in die europäische Wirtschaft.

Wichtiger Handelspartner

Kanada kann im Gegenzug seine Agrarprodukte leichter in Europa vermarkten und dadurch seine ökonomische Abhängigkeit von den USA verringern. Für die Kanadier ist die EU nach den USA schon der zweitwichtigste Handelspartner, rund zehn Prozent ihres gesamten Außenhandels wickeln sie mit der EU ab. Der Warenaustausch summierte sich zuletzt auf immerhin rund 62 Milliarden Euro im Jahr.

Dennoch gestalteten sich die Verhandlungen bis zuletzt äußerst zäh. Knackpunkt war bis zuletzt die Landwirtschaft. Die Regierung in Ottawa steht unter Druck der heimischen Agrarlobby und schottet seine Märkte bisher mit Zöllen von bis zu 300 Prozent ab. Milchprodukte und Lebensmittel sind in Kanada daher erheblich teurer als in Europa.

Nach langem Hin und Her erklären sich die Kanadier nunmehr bereit, doppelt so viele Milchprodukte aus der EU zuzulassen wie bisher. Außerdem akzeptieren die Kanadier längere Patentfristen für Medikamente, was der europäischen Pharmaindustrie entgegenkommt. Die Zölle für europäische Autos sinken. Im Gegenzug dürfen kanadische Farmer zukünftig deutlich mehr Rind- und Schweinefleisch in der EU verkaufen - und zwar im Umfang von bis zu 700 Millionen Euro im Jahr. Profitieren werden auch die Lebensmittel-Produzenten. Dazu gehören auch jene, die den für Kanada typischen Ahornsirup abfüllen.

Bevor das neue Abkommen in Kraft treten kann, muss es noch von allen 28 Mitgliedsstaaten der EU und dem Europäischen Parlament ratifiziert werden. Dieser Prozess könnte bis zu zwei Jahre dauern. Lange drohte Tschechien wegen umstrittener Visa-Regelungen Kanadas mit einem Veto. Am Donnerstag hob Kanada die Visumspflicht für Tschechen überraschend auf - und machte damit den Weg zur Unterzeichnung frei.

Sorge um den Umweltschutz

Im EU-Parlament gibt es ebenfalls noch Bedenken. Manche Abgeordnete befürchten, dass Umweltschutzregeln aufgeweicht werden. Unter anderem sieht das Abkommen vor, dass Unternehmen bei Streitfragen, etwa bei den Öko-Auflagen, die nationalen Gerichte umgehen und sich direkt an die internationalen Gerichte wenden können.

In Kanada müssen noch die zehn Provinzen zustimmen. Dort gibt es ebenfalls beträchtliche Widerstände. Viele kanadische Kommunen befürchten, dass europäische Unternehmen bei öffentlichen Infrastruktur-Ausschreibungen zukünftig die Oberhand gewinnen könnten.