Warum es für Arbeitslose und in der Notstandshilfe mehr als nur einen einmaligen Inflationsausgleich braucht.
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Wenn Inge W. einkaufen geht, denkt sie derzeit öfter: "Das ist ja irre mit den Preisen", erzählt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Sie kann sich immer weniger um das gleiche Geld leisten. Und: "Es sind ja nicht nur die Lebensmittel, es ist auch das Heizöl. Was das jetzt kostet, ein Wahnsinn", sagt die 57-Jährige Salzburgerin.
Sie konnte die Kosten fürs Heizen schon vor dem vergangenen Winter nicht alleine, sondern nur mit Hilfe der Caritas stemmen. Der heurige Herbst und Winter bereitet ihr Sorgen: "Und unsere Hausverwaltung wird die Heizung sicher nicht austauschen. Die machen nur was, wenn was echt gar nicht mehr geht, also kaputt ist", sagt Inge W.: "Wenn das so weitergeht, müssen wir ausziehen."
Inge W. verdient in 25 Stunden pro Woche 900 Euro netto im Monat, erhält noch Familienbeihilfe und knappe 200 Euro Unterhalt für ihre 12-jährige Tochter. Wenn sie arbeitslos werden würde, machen 55 Prozent Nettoersatzrate nur 495 Euro aus, mit einem Ergänzungsbetrag laut Wifo-Expertin Christine Mayerhuber gibt es 540 Euro netto maximal. Mit Sozialhilfe aufstocken oder Wohnbeihilfe beantragen könne sie nicht. Im selben Mehrfamilienhaus wohne auch noch ihr erwachsener Sohn und ihr Ex-Mann: "Der steht im Mietvertrag. Alles geht über ihn. Und das können wir auch nicht ändern, sonst hebt die Hausverwaltung sofort die Miete an."
Ausgleichszulage deutlicher erhöhen
Aber auch die knapp 15.000 (2020), die wegen ihres geringen Einkommens, oder die 37.000 mit geringem Arbeitslosengeld, die ihr Einkommen mit Sozialhilfe aufstocken können, müssen sofern Alleinerziehende mit Kind mit nicht gerade üppigen 1.212 Euro, die es auch nicht 14, sondern nur zwölf Mal im Jahr gibt, auskommen. Da davon auszugehen ist, dass sich die Teuerung bestenfalls abschwächt, stellt sich die Frage, ob Einmalzahlungen für Arbeitslose oder gering Verdienende ausreichen.
"Erhöht man den Ausgleichszulagenrichtsatz nochmals, entlastet man ganz viele Gruppen von der Teuerung", ist Mayerhuber überzeugt. Denn dieser wurde zwar mit 1. Jänner auf 978 Euro erhöht. Das entspricht allerdings der Preisentwicklung der Vergangenheit, konkret jener vom August 2020 bis Juli 2021. Diese lag im Durchschnitt nur bei 1,8 Prozent, "was aus heutiger Sicht fast rührend wenig ist". Die Statistik Austria bestätigt am Freitag nun 7,7 Prozent Inflation im Mai 2022, im Durchschnitt macht sie damit seit letztem Mai 4,8 Prozent aus, rechnet Mayerhuber vor. Ein Argument dafür den Ausgleichszulagenrichtsatz nochmals erhöhen.
Unter den Arbeitslosen und jenen, die Notstandshilfe beziehen, profitieren einige indirekt über den Ergänzungsbetrag oder beim Aufstocken mit Sozialhilfe. Für die anderen erachtet Mayerhuber aber eine Inflationsanpassung der fiktiven Bemessungsgrundlage, also des Arbeitseinkommens davor für sinnvoll, damit Arbeitslose und Notstandshilfe nicht laufend an Wert verlieren: "Damit macht man aus einem eingefrorenen Wert einen mit der Inflation steigenden und kann eine marginale Verbesserung für diese Gruppe erreichen", sagt Mayerhuber. "Eine effektive Verbesserung ist nur über eine vernünftige Lohnpolitik mit guten Abschlüssen zu erreichen", sagt die Wifo-Expertin aber auch.
Langzeitarbeitslose immer schlechter abgesichert
"Wenn man die momentane Schieflage zwischen Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und dem, was man sich damit kaufen kann, ausgleichen will, sind Einmalzahlungen gut", sagt Karin Heitzmann, Leiterin der Ungleichheitsforschung an der Wirtschaftsuni Wien. "Wenn ich davon ausgehe, dass die Inflationsphase länger dauert, ist es das nicht", sagt sie auch. "Vor allem, weil die Preise keinesfalls zurückgehen werden."
Aus Sicht der Armutsforscherin müssten Arbeitslosengeld und Notstandshilfe mit der Dauer der Arbeitslosigkeit steigen. Sinken, wie in degressiven Modellen sollte sie keinesfalls. Denn: Menschen im Erwerbsalter von 18 bis 64 Jahren sind im Durchschnitt zu 15 Prozent von Armut gefährdet. Von jenen, die kurz, also bis zu fünf Monate arbeitslos sind, sind es 17 Prozent. Jene, die zwischen sechs und 12 Monaten arbeitslos sind, sind aber zu 31 Prozent von Armut gefährdet. Unter den Langzeitarbeitslosen, die ein Jahr und länger arbeitslos sind, sind schon heute 57 Prozent armutsgefährdet. "Im Moment wäre eine sinkende Notstandshilfe ohnehin das völlig falsche Signal. Aber auch in Zukunft sollte die Politik nicht mit Anreizen über ein sinkendes Arbeitslosengeld keinesfalls die Existenzsicherung unterwandern", sagt Heitzmann.
Auch Martin Schenk, Experte bei der Armutskonferenz, wundert sich: "In ganz Österreich wird nach Möglichkeiten gesucht, wie man Menschen am besten vor dem Absturz bewahrt. Nur in der Arbeitsmarktpolitik schließt man noch immer nicht aus, bei den am meisten Gefährdeten zu kürzen."
Einmalig große, dann laufende Erhöhungen
Eine Erhöhung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sowie Familienzuschlägen mit anschließender regelmäßiger Valorisierung wäre für Schenk deshalb zusätzlich zu einer höheren Ausgleichszulage und einer Sozialhilfereform "zentral für die Armutsbekämpfung": "Das Arbeitslosengeld ist in Österreich relativ niedrig, die darin enthaltenen Familienzuschläge sind seit 2001 nicht erhöht worden."
"Mit einer Nettoerstatzrate von 55 Prozent in der Arbeitslosen, dann 52 Prozent in der Notstandshilfe, wird es ziemlich schnell ziemlich eng", sagt auch Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung für Sozialpolitik in der Arbeiterkammer Wien. "Wird dann noch alles teurer so wie jetzt, kann sich eh jeder selbst ausrechnen, wie weit man damit kommt. Bei vielen reicht das Geld dann gerade einmal für die Fixkosten aus. Da habe ich noch kein Essen eingekauft", sagt sie auch.
Die Arbeiterkammer plädiert deshalb einmal mehr für die Anhebung der Nettoersatzrate auf 70 Prozent in der Arbeitslosenversicherung und eine substanzielle Anhebung des Ausgleichszulagenrichtsatzes. "Außerdem sollte die Sozialhilfe so wie bei den Pensionisten nicht nur zwölf, sondern 14 Mal ausbezahlt werden."
Inge W. hofft jedenfalls, dass ihr die früheren 16 Jahre Zeitungsaustragen, ein selbständiges Einkommen, für die Pension angerechnet werden. Nachgefragt hat sie noch nicht, mit wie viel Geld oder mit wie wenig sie in der Pension rechnen muss. "Das ist natürlich auch was, was mir nochmals Sorgen macht", sagt sie heute nur - und seufzt.