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20 Millionen Iraner kommen nicht ungehindert an Facebook und Twitter.
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Teheran/Wien. Öffnet man die englische Twitter-Seite des iranischen Präsidenten Hassan Rohani, dann traut man seinen Augen nicht. Taggleich sind dort die wichtigsten Termine und Anliegen der Präsidentschaftskanzlei zu finden. Man hat fast den Eindruck, Rohani setzt bewusst auf moderne "Twiplomatie" auf Persisch. Und das in jenem Land, wo mehr als drei Jahrzehnte lang der Slogan "Death to America" propagiert wurde. Die Akkreditierung des neuen niederländischen und deutschen Botschafters in Teheran mit Foto ist dort ebenso zu sehen wie der Wunsch der Regierung, dass die kommenden Atomgespräche mit dem Westen in Genf Mitte Oktober von Erfolg gekrönt sein mögen.
Freier Zugang für alle
Über Twitter verschickt der Präsident ebenfalls medienwirksam an seine 108.096 Follower wichtige Nachrichten wie jene Glückwunschbotschaft für die Juden zu ihrem neuen Jahr oder seine Stellungnahme zur Anfrage des Twitter-Gründers Jack Dorsey. Dieser wollte von ihm wissen, ob denn seine Mitbürger seine Tweets mitverfolgen könnten. Er arbeite daran, dass die Perser den Zugang zu den sozialen Netzwerken bald erhalten würden, denn es sei ihr Recht, twitterte Rohani an Dorsey. Letzterer war verblüfft, binnen weniger als 24 Stunden eine Antwort des iranischen Präsidenten zu bekommen und bot ihm gleich jede Unterstützung zur Verwirklichung dieses Zieles an. Eines zeigt sich sehr deutlich: Seit der Wahl des moderaten Pragmatikers Rohani zum siebenten Präsidenten des Iran im Juni dreht sich im schiitischen Gottesstaat für die überwiegend junge Bevölkerung neben innen- und außenpolitischen Themen alles um ein Thema: die Lockerung der Zensur. Rohani hatte bereits während seines Wahlkampfes versprochen, die "Schlösser und Riegel, die den Weg zu der Freiheit der Menschen versperren", entfernen zu wollen. Daher hat Rohani sein Telekommunikationsministerium beauftragt, den freien Zugang zu den sozialen Netzwerken Facebook und Twitter zu überprüfen. In einer Mitteilung gab die Behörde auf ihrem offiziellen Webportal bekannt, dass Arbeitsgruppen aus verschiedenen Behörden dabei seien, die Aufhebung der Blockade dieser beiden Netzwerke zu überprüfen. Zudem wies das Ministerium Berichte einiger Medien zurück, wonach Minister Mahmoud Vaezi gesagt haben soll, dass diese beiden sozialen Netzwerke weiterhin gefiltert blieben. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, retwitterte er diese neue Meldung gleich auch auf seinem Account.
Rohani ist die Lockerung der Medienzensur ein besonderes Anliegen, denn er und sein Außenminister Mohammad Javad Zarif kommunizieren mit der Welt hauptsächlich über Twitter und Co. Gemeinsam mit seinem politischen Ziehvater, dem Chef des mächtigen Schlichtungsrates, Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani, will der Präsident mittels Freilassung der politischen Gefangenen, einer Bürgerrechtscharta, der Öffnung der Zugänge zu westlichen Seiten im Internet und einigen Freiheiten für die Jugend "eine neue Atmosphäre schaffen". Der einflussreiche Klerus und die Hardliner im Iran bezeichnen Facebook und Twitter weiterhin als Spionageapparat Washingtons und werten eine Mitgliedschaft von Persern als "Sünde". "Diese Netzwerke sind die Utensilien des Teufels und bringen das Böse über die Menschheit", wetterte ein greiser iranischer Ayatollah gegen die Nutzung von YouTube, Twitter und Facebook. Doch interessanterweise haben - obwohl offiziell verboten - nicht nur Rohani und Zarif, sondern auch die beiden mächtigsten Männer im Iran, der Oberste Geistliche Führer Ayatollah Ali Khamenei und der Chef des Schlichtungsrates, Ayatollah Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani, einen Twitter-Account.
"Nicht alles ist verboten"
Während Rohani am gestrigen Dienstag eine positive Bilanz über die ersten 50 Tage seiner Amtszeit zog, geht auch in puncto Zensurerleichterungen einiges weiter. "Wir haben in 50 Tagen außenpolitisch so viele Schritte gesetzt wie für 500 Tage", sagte Rohani stolz in Teheran. "Wir werden auch weiterhin daran arbeiten, dass sich die Lage in unserem Land verbessert", ergänzte er. Angesprochen auf die Zensur versicherte er, dass er dem Credo Rafsanjanis folgen wolle, "dass man nicht alles verbieten müsse". Zwei Drittel der iranischen Bevölkerung (rund 75 Mio. Menschen) ist unter 35 Jahre alt. Facebook, Twitter und YouTube sind offiziell, sprich über das iranische Internet, nicht abrufbar. Man braucht sogenannte Filterbrecher (VPN-Systeme), um diese sozialen Netzwerke nutzen zu können.
Trotz der Verbote verwenden 20 Millionen Perser regelmäßig Twitter, Facebook und YouTube. Somit ist der Iran eines jener Länder im Nahen und Mittleren Osten, die soziale Netzwerke massiv in ihren Alltag eingebunden haben.