Täglich versuchen Flüchtlinge, vom italienischen Ventimiglia aus in den französischen Grenzort Menton zu reisen, um von dort weiter nach Paris oder Großbritannien zu gelangen. Sie werden dabei oft aufgehalten, zurückgebracht - und versuchen es wieder.
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Nenton. Zweimal pro Stunde fährt ein Zug von der italienischen Grenzstadt Ventimiglia nach Frankreich, an der Mittelmeerküste entlang, macht Halt in Menton, Monaco und bezaubernden Strandorten, um über Nizza und Antibes in Cannes anzukommen. Viele Urlauber, aber auch Grenzarbeiter nutzen die Strecke. Und in jedem dieser Züge verstecken sich illegale Passagiere: Flüchtlinge, die sich meist übers Mittelmeer nach Italien durchgeschlagen haben, um nach Frankreich zu gelangen; oft auf dem Weg nach Paris, Großbritannien oder in andere Länder der EU.
Sie schließen sich in den Zugtoiletten ein oder kriechen unter die Sitze, in der Hoffnung, unentdeckt zu bleiben - und werden in den meisten Fällen an der ersten französischen Station nach der Grenze, in Menton-Garavan, herausgezogen. Dutzende Polizeibeamte und sogenannte CRS-Spezialeinsatzkräfte (Compagnies Républicaines de Sécurité, also Sicherheitskompanien der Republik) warten in diesem Provinzbahnhof auf die ankommenden Züge und zwingen die unwillkommenen Flüchtigen zum Aussteigen, nehmen ihre Personaldaten auf und setzen sie in Polizeibusse.
"Alle werden zurück nach Italien gebracht, auch Minderjährige und Frauen. Dort gibt es Lager für sie", sagt einer der Beamten, der anonym bleiben will. "Natürlich wissen wir, dass sie es daraufhin wieder versuchen, es ist ein Teufelskreis. Aber wir haben die Vorgabe, keinen durchzulassen", schildert der Mann seine Arbeit, für die er keinerlei psychologische Vorbereitung erhalten hat.
CRS-Einsatzkräfte sichern sonst oft Sportveranstaltungen oder Großdemonstrationen ab, wo hohe Gewalt- und Eskalationsgefahr besteht. Entsprechend rau ist mitunter auch der Ton, mit dem sie sich an die Flüchtlinge richten.
Die Situation im französisch-italienischen Grenzgebiet sei seit Jahren angespannt, erklärt der CRS-Polizist, aber so viele wie in diesem Jahr kamen noch nie.
Als "Schande für mein Land" bezeichnet Pascaline aus Menton die Situation: "Frankreich wirft Großbritannien vor, den Eurotunnel zwischen Calais und Dover maximal abzusichern und es mit den tausenden Flüchtlingen im Stich zu lassen. Aber hier agiert es genauso gegenüber Italien."
Und schlimmer: Der südfranzösische Bauer Cédric Herrou, der dutzende, manchmal hunderte Flüchtlinge bei sich unterbringt und ihnen oft bei Asylanträgen hilft, hat regelmäßig Ärger mit der Justiz. Eine europäische Lösung müsse her, so Pascaline. Präsident Emmanuel Macron habe zwar mehr Humanität im Umgang mit Flüchtigen, schnellere Bearbeitung von Asylanträgen und europäische Initiativen angekündigt; doch ob er die Lage entscheidend verbessern kann?
Dass er entschlossen eingreifen will, bewies Macron zuletzt mit der Einladung der wichtigsten Konfliktparteien im libyschen Bürgerkrieg zu Gesprächen, wo man sich zu Wochenbeginn auf einen Zehn-Punkte-Plan mit einer Waffenruhe und baldigen Wahlen verständigt hat. Am Donnerstag dann überraschte der französische Staatschef mit der Ankündigung, noch im Sommer in Libyen Registrierungsstellen für Asylbewerber zu errichten, um die illegale Migration über die zentrale Mittelmeer-Route einzudämmen. Vor allem erstaunte in Brüssel seine Erklärung, Frankreich wolle "mit Europa", zur Not aber auch alleine vorgehen.
Libyen "zu instabil"
Nach Kritik über dieses Vorpreschen und der Warnung von Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl, Libyen sei zu instabil, um unter menschenwürdigen Bedingungen Hotspots einzurichten, ruderte der Élysée-Palast zurück: Dies sei in der Tat aus Sicherheitsgründen "heute nicht möglich", doch Ende August werde die französische Asylbehörde Ofpra im Süden Libyens, im Niger und im Tschad die Machbarkeit für die Einrichtung "fortgeschrittener Zentren" prüfen.