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Teure Beruhigungspille?

Von Ines Scholz

Politik

Die von der deutschen Bundesregierung beschlossenen Korrekturen beim Hartz-IV-Gesetz gehen den meisten Kritkern der Arbeitsmarktreform nicht weit genug. Die Organisatoren der Montagsdemonstrationen kündigten weitere Proteste an, die Gewerkschaften sehen in den am Dienstagabend beschlossenen Abänderungen erst einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Dennoch wird es weitere Zugeständnisse nicht geben, wie die Spitzen von SPD und Grünen am Donnerstag betonten. Schon die jetzigen Änderungen reißen ein neues Loch von rund 1,4 Mrd. Euro ins Budget 2005.


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Vereinbart wurde, dass Langzeitarbeitslose das neue Arbeitlosengeld II nun doch schon Anfang Januar erhalten. Die Regierung war bisher für eine Auszahlung ab Februar, da die letzmalige Überweisung der Arbeitslosenhilfe Ende Dezember erfolgt. Weiters wurden höhere Freibeträge für Kinder von Arbeitsgeld-II-Beziehern beschlossen. So soll nun bereits ab der Geburt eines Kindes und nicht erst nach dessen 15. Lebensjahr ein Freibetrag von 4.100 Euro gelten. Rot-grün sieht damit nach Bekunden auch die Frage der Ausbildungsversicherungen geklärt.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement zeigte sich über das Ergebnis des eilig einberufenen Krisentreffens im Kanzleramt zufrieden, auch wenn er sich nicht der Illusion hingeben wollte, dass damit die Debatte vom Tisch ist. Die Änderungen sollen nun per Gesetz festgeschrieben werden. Die SPD hofft auch dabei auf Untertützung der Unionsparteien und erhielt bereits positive Signale. An der Substanz des Hartz-Gesetzes, nach dem Arbeitlose nach einem Jahr (ab 55-Jährige ab 18 Monaten) nur noch ein Monatsgeld in der Höhe der bisherigen Sozialhilfe (etwa 300 Euro) erhalten, dafür aber mehr zuverdienen dürfen, werde aber "nicht gerüttelt", stellte SPD-Chef Franz Müntefering klar. Zuletzt hatten mehrere CDU-Politiker neue Modifikationen eingemaht, von denen mehrere das Hartz-IV-Gesetz im Februar nicht nur mitbeschlossen, sondern sich für viel regorosere Einschnitte bei Langzeitarbeitslosen stark gemacht hatten. Die Unionsspitze pfiff sie schließlich zurück.

"Lohndumping" per Gesetz

Auch die Gewerkschaften geben sich mit den geplanten Änderungen bei Hartz IV nicht zufrieden. Sie beanstanden vor allem, dass bei den Zumutbarkeitskriterien für Jobs, die Langzeitarbeitlose künftig annehmen müssen, nicht nachgebessert wurde. Weiters vermissen sie eine Erhöhung des Freibetrages für die private Altersvorsorge und Lebensversicherungen von Arbeitslosengeld-II-Beziehern. Am schärfsten reagierte gestern die IG-Metall. Sie warf der Regierung vor, "Lohndumping in Deutschland Tür und Tor zu öffnen". Verdi mahnte weitere Verhandlungen ein. Nach dem neuen Gesetz, das am 1. Jänner 2005 in Kraft tritt, müssen Arbeitlose auch Jobs annehmen, bei denen Löhne um 30% unter dem ortüblichen Lohn liegen. Dafür dürfen sie ohne Abschläge mehr dazuverdienen.

Ältere Bezieher von Arbeitlosengeld II bleiben auf der Strecke, warnen viele. Da ab 50 die Chance, einen Job zu finden, kaum vorhanden sei, können ältere Arbeitlose ihr "staatliches Taschengeld" kaum auffetten. Der Sozialverband fordert nun ein gesetzliches Verbot der Alterskriminierung etwa bei Stellenannoncen.

Linke Aktionsgruppen kündigten an, ihre Montagsdemonstrationen gegen den "verordneten Sozialabau" noch zu verstärken und denken bereits laut über eine Besetzung von Büros der staatlichen Jobcenter nach.

Auch österreichische Politiker kommentierten die deutsche Arbeitmarktreform - ein eher ungewöhnlicher Vorgang. So hofft SP-Budgetsprecher Christoph Matznetter auf einen Kurswechsel seiner deutschen Parteifreunde in Sachen Sozialpolitik, auch für ÖVP-Generalsekretär Reinhold Lopatka geht die Regierung in Berlin "entschieden zu weit". Einen derartigen "Sozialabbau" werde es in Österreich nicht geben.