Deutlich kürzere Fahrzeit zwischen Städten in der EU.
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Strassburg/Wien. Morgen Sonntag beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte Europas. An diesem Tag nimmt der Hochgeschwindigkeitszug TGV (Train à grande vitesse) Est Européen - kurz TGV-Ost - seinen kommerziellen Regelbetrieb auf. Mit dem bahnbrechenden Projekt rücken die Staaten Frankreich, Deutschland, Luxemburg und die Schweiz ein gutes Stück näher zusammen.
Die gemeinsame Projektgesellschaft Rhealys der vier Partnerbahnen (SNCF/Frankreich, DB/Deutschland, SBB/Schweiz und CFL/Luxemburg) will mit dem TGV-Ost den Marktanteil gegenüber Kurzstreckenflügen massiv ausbauen. Man rechnet mit 11,5 Millionen Fahrgästen pro Jahr. Binationale Kooperationen in den Bereichen Technik, Verwaltung und Service schalten die verschiedenartigen Bahnsysteme und -kulturen auf Gleichtakt, zweisprachige Bordmannschaften betreuen den Fahrgast.
Die neue Hochgeschwindigkeitslinie verkürzt die Fahrzeiten zwischen Paris und den Städten Süddeutschlands sowie von Paris nach Luxemburg und Zürich gegenüber bisher um bis zu 50 Prozent.
Der TGV-Ost bietet neben den internationalen Destinationen neue innerfranzösische Direktverbindungen von Region zu Region, aber auch vom Großraum Paris in Ostfrankreichs Städte. Die Linie Paris-Stuttgart wird vom französischen TGV befahren, dessen Innenausstattung Modezar Christian Lacroix entwarf. Auf der Strecke Frankfurt-Saarbrücken-Paris verkehrt das deutsche Pendant, der ICE.
Bahn statt Flugzeug
Wer bei Höchstgeschwindigkeiten von 320 Stundenkilometern in weniger als vier Stunden von Paris nach Stuttgart, Frankfurt oder Zürich kommt oder in rund zwei Stunden nach Luxemburg, wird diese Alternative dem Flugzeug vorziehen. Die Bahnhöfe liegen in den Stadtzentren, lange Eincheckzeiten und leidige Kontrollen fallen weg, der Reisekomfort ist hoch. Europas Bahngesellschaften wollen künftig - analog der himmlischen Star Alliance - in einer irdischen Bahnallianz Railteam die Hochgeschwindigkeitsnetze Marseille-Hamburg, London-Paris-Berlin und TGV-Ost verbinden.
Einheitliche Buchungs- und Servicestandards, gute Umsteigmöglichkeiten, Bonusmeilen und Spartarife sollen die Kunden locken. An dieser Entente commerciale werken Franzosen, Deutsche und Schweizer, der britische Eurostar, Belgiens Thalys, die Niederlande - und in geringerem Umfang auch Österreich. Denn der Tag wird kommen, da Wien und Budapest die östlichen Endpunkte dieses Netzes bilden werden. Die Österreicher profitieren jedoch schon jetzt von der europäischen Kooperation - verkürzt sich doch die Fahrzeit Wien-Paris um rund 90 Minuten.
Das Projekt TGV-Ost erforderte den Ausbau bestehender Strecken und Bahnhöfe (Pariser Gare de l'Est oder Strassburg), den Bau von drei neuen Bahnhöfen auf der grünen Wiese und einer 300-Kilometer-Schnelltrasse auf der Strecke Paris-Strassburg (zwischen Vaires-sur-Marne und Baudrecourt). Als Bauherrin firmiert der Eigentümer des nationalen Schienennetzes RFF (Réseau Ferré de France), als Bauleiter der Netzbetreiber SNCF (französische Staatsbahnen).
Die Gesamtkosten des Projektes von 5,515 Milliarden Euro werden von 22 Geldgebern getragen. Der französische Staat investierte 1662 Millionen Euro, die SNCF 1322 Millionen, die RFF 931 Millionen. Die EU steuerte 436 Millionen und Luxemburg 160 Millionen Euro bei. Die Beteiligung der betroffenen Regionen (1004 Millionen Euro) stellt in Frankreichs TGV-Geschichte ein Novum dar. Auf deutscher Seite werden rund 500 Millionen Euro in Ausbaumaßnahmen (etwa die neue Rheinbrücke in Kehl) investiert.