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Thailand überwindet Polarisierung nicht

Von Klaus Huhold

Analysen

Proteste beruhigen sich, politischer Konflikt bleibt aber ungelöst.


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Bangkok/Wien. Die Bilder könnten unterschiedlicher nicht sein: War am Montag die Polizei in Thailand noch mit Tränengas gegen regierungsfeindliche Demonstranten vorgegangen, verteilte sie am Dienstag Rosen an dieselbigen. Auch die Barrikaden vor dem Regierungssitz und dem Polizeihauptquartier in Bangkok wurden abgebaut und die Protestierenden mehr oder weniger eingeladen, hineinzuspazieren. Das geschah offenbar auf Anweisung der Regierung. Diese meinte, dass sie vor dem 86. Geburtstag des hochverehrten Königs Bhumibol Adulyadej die Spannungen abbauen wolle.

Die von Ex-Vizepremier Suthep Thaugsuban angeführte Protestbewegung fordert den Rücktritt der Regierung. Dass die Demonstranten, die bereits das Finanzministerium besetzt halten, nun auch in den Regierungssitz gelangten, scheint auf den ersten Blick ein symbolischer Erfolg.

Auf den zweiten Blick aber scheint es sich viel eher um einen geschickten Schachzug des Kabinetts von Premierministerin Yingluck Shinawatra zu handeln. Nach den vorangegangenen Straßenschlachten hat man nun die Lage deeskaliert. Und ist damit vielleicht einem Kalkül der Regierungsgegner zuvorgekommen. Denn diese sollen mit ihren Protesten und Sturmläufen auf Regierungsgebäude laut vieler Beobachter darauf spekuliert haben, Thailand ins Chaos zu stürzen und unregierbar zu machen. Damit wäre ein Vorwand geschaffen, dass, wie so oft in der Geschichte Thailands, das Militär eingreift. Nun hat sich die Situation aber beruhigt.

Der politische Konflikt bleibt damit freilich ungelöst. Die Protestbewegung fordert weiter den Sturz der Regierung. Sie wirft Premierministerin Yingluck Shinawatra vor, nur eine Marionette ihres 2006 vom Militär gestürzten Bruders Thaksin Shinawatra zu sein. Der wegen Korruption verurteilte Telekom-Milliardär lebt im Exil und soll dort regelmäßig Kabinettsmitglieder empfangen. Die Regierungspartei Puea Thai verweist wiederum darauf, dass sie die letzten Wahlen 2011 - und das noch dazu ziemlich überlegen - gewonnen hat.

Die Armen als Machtfaktor

Hinter dieser Frontstellung verbirgt sich ein noch viel tiefergehendes Problem: Das Verhältnis zwischen den alteingesessenen Eliten, der urbanen Mittelschicht auf der einen und den weniger wohlhabenden Thailändern auf der anderen Seite ist seit Jahren ungelöst. Erstere unterstützen großteils die Protestbewegung, Zweitere die Regierung.

Diese Polarisierung geht auf Thaksin zurück. Dieser baute seine Macht nicht auf die alten Eliten auf, die zumeist auch dem Königshaus sehr nahestehen. Sondern er war er der Erste, der die Masse der Armen als Machtfaktor entdeckte. Diese hatten zuvor zwar an Wahlen teilgenommen, waren politisch aber kaum beachtet worden. Thaksin initiierte Sozialprogramme - und die Reisbauern und Tagelöhner dankten es ihm mit ihren Stimmen. Zudem hatte er viel Geld für den Wahlkampf zur Verfügung, weshalb ihm seine Gegner immer wieder Stimmenkauf vorwarfen.

Die Thaksin nahestehenden Parteien handeln nun genau so: So kauft die derzeitige Regierung, die ja von Thaksins Schwester Yingluck Shinawatra angeführt wird, Reisbauern Ernten zu deutlich über dem Marktwert liegenden Garantiepreisen ab. Die Bauern müssen keine Steuern zahlen, diese zahlt die Mittel- und Oberschicht. Und so manch wohlhabender Städter und Regierungsgegner beklagt nun, dass er Programme finanziert, die der Thaksin-Partei die Zustimmung bei der Masse der Landbevölkerung einbringt. Damit würde sich eine Regierung die Macht sichern, mithilfe derer sich der Clan um Thaksin lukrative Geschäfte in Thailand sichert. Die alten Eliten sehen ihren Einfluss schwinden.

Allerdings haben die Regierungsgegner kaum ein Rezept, wie sie selbst ärmere Bevölkerungsschichten für sich gewinnen können. Die in der Mittel- und Oberschicht verankerte Demokratische Partei (DP) hat sich zwar bei der letzten Wahl 2011 bemüht, ein soziales Profil zu zeigen, die Armen gaben aber erst wieder der Thaksin-Partei ihre Stimme.

Nun stellt Protestführer Suthep, der der DP angehört, das System der Massendemokratie in Frage: Er fordert, dass zumindest vorübergehend ein Komitee ehrenhafter Bürger die Staatsgeschäfte lenkt, das ernannt, aber nicht gewählt wird. Die Stimmen der Wählerschaft der Regierung wären damit wertlos - und es ist kaum anzunehmen, dass die Anhänger der Puea Thai dies widerspruchslos, sprich ohne größere Proteste, hinnehmen würden.

Ein Ausweg aus der Krise läge auf der Hand. Dass die beiden Lager Kompromisse eingehen und zueinanderfinden. Zu tief scheinen aber die Gräben, und zu viele Macht- und Geschäftsinteressen sind dabei laut bösen Zungen auf beiden Seiten im Spiel. So bleibt Thailand in seinem Dilemma gefangen - unabhängig davon, wie die tagespolitischen Konflikte auch ausgehen mögen.