Lesen Österreichs Schülerinnen und Schüler heute nichts mehr? Doch, aber anders. Es gilt, digitale Chancen zu nutzen.
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Alle Jahre wieder ist die Pisa-Studie in aller Munde - auch 2019 beschäftigen die jüngst erschienenen Ergebnisse so manche Lehrerinnen und Lehrer sowie Bildungs- und Leseinteressierte. Die Jugendlichen wurden diesmal in den Bereichen Lesekompetenz, Naturwissenschaften und Mathematik getestet. Wie in den Jahren zuvor setzte sich scheinbar auch diesmal der Trend der stagnierenden Leistungsergebnisse der österreichischen Schülerinnen und Schüler fort. Daher stellt sich - wieder einmal - die Frage nach dem Warum. Trotz des allgemeinen negativen Sentiments bewegt sich Österreichs Jugend tatsächlich im Mittelfeld und nicht am unteren Ende der Ergebnisliste: Während unsere Schülerinnen und Schüler in den Kategorien Lesekompetenz und Naturwissenschaften durchschnittlich abschnitten, waren ihre Leistungen in der Kategorie Mathematik sogar leicht überdurchschnittlich.
Falsche (Selbst-)Einschätzung
Nichtsdestotrotz ist bei den Naturwissenschaften ein genereller, weltweiter Abwärtstrend (sowohl bei den leistungsstärksten als auch bei den leistungsschwächsten Schülerinnen und Schülern) zu erkennen; auch die Lesefähigkeit ist leicht rückläufig. Tatsächlich sind diese beiden Kategorien, obwohl nicht offensichtlich, dennoch untrennbar miteinander verbunden. Es ist nämlich die Lesekompetenz, welche die Grundlage für viele andere Kompetenzen bildet. In einem ersten Schritt muss es daher auch die Lesekompetenz sein, die gefördert wird. Wer nicht sinnerfassend lesen kann, der wird nämlich auch Schwierigkeiten beim Begreifen weiterführender Fragestellungen - auch in anderen Lebensbereichen außerhalb des Unterrichts - haben. Fakt scheint nach vorliegenden Umfragen zu sein: Für etwa die Hälfte der österreichischen Schülerinnen und Schüler stellt Lesen eine Belastung dar. Rund ein Drittel der 15- und 16-Jährigen sehen das Lesen sogar als Zeitverschwendung an. Doch liest die heutige Jugend tatsächlich nichts mehr? Diese (Selbst-)Einschätzung täuscht. Durch den konstanten Konsum von Social Media und Co. lesen die Schülerinnen und Schüler nämlich sehr wohl tagtäglich zusätzlich eine Fülle an Texten. Das Smartphone und der Computer haben schlichtweg die Art und Weise, wie Menschen lesen, kommunizieren und Informationen austauschen massiv verändert.
Altersadäquate und qualitätsvolle Texte lesen
Manche Pädagoginnen und Pädagogen sowie Eltern betrachten diese Gadgets nicht als idealen Umgang für Jugendliche und Kinder. Wenn es um die Sicherheitsproblematik im Netz oder aber zum Beispiel um das zunehmende Suchtverhalten im Bereich Online-Gaming geht, ist ihnen vollkommen recht zu geben. Natürlich kann das Lesen von digitalen Texten eine erhebliche Ablenkung mit sich bringen - die oftmals integrierten Bilder, Links und Werbungen können verführen oder die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser verringern. Auch kreative Gedankenprozesse und Textzusammenhänge können gestört werden oder verlorengehen sowie das sinnerfassende Lesen verunmöglichen. Im Gegensatz dazu herrschen bei traditionellen, gedruckten Texten weniger Ablenkung und mehr Orientierung. Aus diesem Grund wird das Lesen von herkömmlichen und vor allem altersadäquaten sowie qualitätsvollen Textangeboten auch weiterhin unabdingbar und vor allem unersetzbar bleiben.
Einmal mehr sind manche Eltern sowie vereinzelt auch Pädagoginnen und Pädagogen zum Umdenken aufgerufen: Die ihnen bekannten Herangehensweisen ans Lesen müssen an die mit der Digitalisierung aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen angepasst werden. Der Internetkonsum ist schon längst ein fixer Bestandteil der modernen Gesellschaft und vor allem der Jugendkultur. Daher dürfen junge Menschen nicht davon abgehalten werden, sondern müssen vielmehr besser auf die damit verbunden Herausforderungen vorbereitet werden - mehr noch, sie benötigen eine digitale Förderung.
Nur durch die Fusion traditioneller und moderner Inhaltsformate kann es gelingen, den Schülerinnen und Schülern das Lesen schmackhaft zu machen und somit den Verlauf zur Erlangung der Lesekompetenz nachhaltig zu unterstützen. Die (sinnvoll eingesetzte) Computer- und Smartphone-Nutzung sollte daher nicht als kontraproduktiv, sondern vielmehr als neue Chance für die Lesesozialisation in der Mediengesellschaft gesehen werden. Die (zumindest teilweise) Digitalisierung von Medien und Kursen dürfen daher nicht als irrelevant abgetan, sondern müssen als ein wesentlicher Bestandteil der Bildung angesehen werden.
Pisa-SpitzenreiterEstland als Vorbild
Insbesondere junge Schüler und Schülerinnen dürfen allerdings in der Online-Welt nicht allein gelassen werden - vielmehr muss ihnen pädagogisch hochwertiges, didaktisch aufbereitetes digitales Zusatzmaterial mit passenden Übungstypen, Videos, Bildern, Soundfiles und gleichermaßen sinn- wie wertvolle Links zur Verfügung gestellt werden. Nur so können sie die Lesekompetenz in einem herausfordernden digitalen Umfeld - auch in der Schule - erlangen. Nicht zuletzt kann auch dadurch die kognitive Dimension des Lesens unterstützt werden. Voraussetzungen sind neben didaktisch hochwertigen Konzepten auch qualitativ hochwertige Textgattungen.
Ein Blick zu den Anführern der Pisa-Rangliste bestätigt die Notwendigkeit eines Umdenkens: In Estland, das im OECD-Vergleich im globalen Pisa-Spitzenfeld rangiert, wird der Umgang mit digitalen Werkzeugen in öffentlichen Schulen bereits intensiv gelehrt - Programmieren beziehungsweise Coding ist ein Bestandteil des Lehrplans. Die Ergebnisse der vorliegenden Pisa-Studie dürfen daher nicht als Dämpfer angesehen werden, sondern vielmehr als Ansporn, junge Menschen auf moderne Art und Weise zum Umgang mit Sprache und Texten zu motivieren. "Reading Literacy" wird sich sodann je nach Motivationsgrad bei der einen mehr, beim anderen weniger von selbst einstellen.