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Theater spielen ist wie ein Flugsimulator für das Gehirn

Von Alexandra Grass

Wissen
Der Neurowissenschafter Manfred Spitzer.

Hirnforscher fordert eine neue Bildungsinitiative an den Schulen.


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Wien. Die Menschen beschäftigen sich im Schnitt täglich vier Stunden lang mit Geschichten, aber nur etwa vier Minuten lang mit Sex, wie jüngst das Fachmagazin "Science" berichtete. Dieses Grundinteresse, über Erlebnisse - auch anderer Menschen - zu lesen, zu sprechen oder zu diskutieren, sollte sinnvoll umgelenkt werden, forderte der deutsche Hirnforscher Manfred Spitzer am Dienstag im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Gerade beim Theaterspielen wird dieses Interesse mit Emotionen, Bewegungen, Musik, Rhythmus und Improvisation kombiniert und vermittelt Kindern und Jugendlichen "eine der wichtigsten Fähigkeiten, die ein Mensch haben kann - die Emotionskontrolle".

Schon bei Achtjährigen fördert Theater spielen die verbale Merkfähigkeit, die Körperwahrnehmung und die Aufmerksamkeit, erklärte Sylvia Rotter, Gründerin des Wiener Kindertheaters und der Bildungsinitiative "Schule für das Leben". Unter dem Motto "Theater wirkt!" wurde im Rahmen eines Symposiums unter anderem über die Auswirkung von Theatereinheiten im Unterricht diskutiert.

Schon einige Projekte - mit Schülern, Lehrlingen, aber auch jugendlichen Straftätern - hätten aufgezeigt, wie wirkungsvoll Theater spielen sein kann, so Rotter. Denn Kinder lernen beim Theaterspielen nicht nur Texte auswendig, sondern vor allem auch, sich im Griff zu haben, auf andere einzugehen und sich in eine Gruppe einzufügen. Jetzt sollen weitere Studien in Zusammenarbeit mit dem deutschen TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen in Ulm, dessen Leiter Spitzer ist, folgen, um positive Effekte noch eindeutiger nachweisen zu können.

Die beste Wirkung zeigt sich in Schulen, wenn Theater spielen im Rahmen des ganz normalen Unterrichts stattfindet, so der Hirnforscher. Die Lehrer sollten dafür sensibilisiert werden, welche Möglichkeiten es gibt, dies in die Praxis zu integrieren. Lösungen bietet die "Schule für das Leben" an. Das große Ziel wäre eine flächendeckende Theaterinitiative an den Schulen, um die Selbstkontrolle und Selbstdisziplin der Kinder und Jugendlichen auszubilden. Dies seien alles Frontalhirnfunktionen, die wichtig für den langfristigen Erfolg im Leben sind, betont Spitzer.

"Wer über Emotionskontrolle verfügt, ist mit 50 glücklicher, lebt länger, hat mit 30 ein höheres Einkommen, ist weniger kriminell, weniger suchtkrank und hat weniger uneheliche Kinder", nennt der Wissenschafter Ergebnisse aus diversen Studien.

"Theater spielen ist wie ein Flugsimulator." Werden schwierige Situationen oft genug durchgespielt, dann beherrschen sie die Menschen auch in der Realität. Man kann alle möglichen emotionalen, sozialen und zwischenmenschlichen Ereignisse simulieren - "damit hat man für das Leben gelernt", so Spitzer.

www.schulefuerdasleben.org