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Seit Emmy Werner 2005 das Volkstheater an Michael Schottenberg übergab, steht in der Theaterstadt Wien keine weibliche Intendantin einer der großen Bühnen vor. In den Bundesländern stellt sich die Situation anders dar: Vier künstlerische Leiterinnen sorgen für neuen Aufschwung und volle Häuser - die Auslastungszahlen der von Frauen geleiteten Bühnen liegen im österreichweiten Länderbühnenvergleich durchwegs im Spitzenfeld. Den vier Intendantinnen - Anna Badora (Schauspiel Graz), Elisabeth Sobotka (Oper Graz), Isabella Suppanz (Landestheater Niederösterreich, St. Pölten) und Brigitte Fassbaender (Tiroler Landestheater, Innsbruck) - wurden von der "Wiener Zeitung" gleichlautende Fragen gestellt, per Telefon, E-Mail sowie im Vier-Augen-Gespräch.
"Wiener Zeitung":Als Sie am Theater zu arbeiten begonnen haben, waren die Strukturen noch weitaus verkrusteter. Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert?Anna Badora: Vor zwanzig Jahren musste ich meine Schwangerschaft verheimlichen, sonst hätte ich als freischaffende Regisseurin keine Verträge bekommen! Heute stillen junge Regisseurinnen ihr Kind in den Pausen zwischen den Proben. Andererseits haben sich die positiven Veränderungen noch nicht im ganzen deutschsprachigen Raum durchgesetzt. So fand ich anfangs in Graz eine Situation vor, die in Deutschland völlig unmöglich wäre: Schauspielerinnen erhielten hier weniger Gage als ihre männlichen Kollegen gleichen Alters.
Isabella Suppanz: Ich hatte Anfang der achtziger Jahre das Glück, unter Achim Benning ans Burgtheater zu kommen. Zu dieser Zeit galt es als schick, Frauen am Theater zu engagieren - wohl deshalb wurde ich sehr gefördert. Nach nur zwei Monaten am Haus hatte ich bereits meine erste Regie. Aber es hat sich längst nicht so viel verändert, wie wir uns einst erhofften.
Brigitte Fassbaender: Ende der 80er Jahre galt es noch als etwas Besonderes, als Frau eine Männerdomäne wie etwa die Regie zu erobern. Inzwischen ist das eine Selbstverständlichkeit.
Elisabeth Sobotka: Im Musiktheater hat sich seit den neunziger Jahren enorm viel getan: Frauen wurden erstmals ins Staatsopernorchester aufgenommen. So war etwa Simone Young die erste Dirigentin im Haus am Ring. Dass Frauen Opernhäuser leiten, ist längst keine Seltenheit mehr.
Ist es für Frauen inzwischen leichter, am Theater wahrgenommen zu werden - und eine Karriere bis hin zur Leitungsfunktion zu durchlaufen?Badora: Wir scheinen uns in einer Art Umbruchszeit zu befinden. Heute sind an den Theatern deutlich mehr Regisseurinnen als früher anzutreffen, auch wenn das Verhältnis noch längst nicht paritätisch ist. Zugleich ist es schwieriger geworden, mit männlichen Dramaturgen zu arbeiten, weil es diese kaum mehr gibt. Je nach Kulturpolitik und Milieu kann es für die Karriere mittlerweile sogar von Vorteil sein, eine Frau zu sein.
Suppanz: Wir befinden uns in einer post-feministischen Gesellschaft, was am Theater dazu führt, dass Frauen heute pseudo-selbstverständlich sind. Die wirklichen Karrieren sind nach wie vor rar gesät, während die zweite Ebene - die gesamten Bereiche der Dramaturgie, der Assistentinnen oder der Künstlerischen Betriebsbüros - weiblich geprägt ist.
Fassbaender: Eine Leitungsfunktion ist für eine Frau nicht mehr unerreichbar. Es gibt viele Beispiele - Tendenz steigend.
Sobotka: Es ist doch nie einfach, Leitungsfunktionen zu erreichen. Entscheidungsprozesse sind jedoch transparenter geworden, in der Kultur sind männliche Gruppenbildungen nicht mehr so dominierend wie in der Privatwirtschaft.
Würden Sie von sich behaupten, Feministin zu sein?Badora: In meiner Jugend in Polen kannte man diesen Begriff nicht. Während es in Wien noch keine Regiestudentinnen gab - ich war übrigens die erste am Max Reinhardt Seminar -, arbeiteten in meiner Heimat längst anerkannte Regisseurinnen und Intendantinnen. Gleichzeitig wäre bei uns niemand auf die Idee verfallen, Männer für die Kinderbetreuung einzuspannen. Dafür standen Mütter, Tanten, Nachbarinnen zur Verfügung.
Suppanz: Selbstverständlich bin ich stark davon geprägt. In meiner Studienzeit waren feministische Arbeitskreise eine Selbstverständlichkeit!
Fassbaender: Als Feministin habe ich mich nie empfunden. solche Kategorisierungen interessieren mich weniger, aber ich bin immer selbstbestimmt meinen Weg gegangen.
Sobotka: Die Vorstellung, zu heiraten, Kinder zu bekommen und das war’s dann - davon war ich nie angetan. Für mich war es wichtig, selbstständig und emanzipiert zu sein.
Wie begegnen Sie beruflichen Problemen?Badora: Ich akzeptiere weder ein Nein, wenn ich von etwas überzeugt bin, noch lasse ich davon ab, nach dem letzten Millimeter Wahrheit und nach Qualität zu suchen. Ausreden, weshalb etwas nicht geht, nicht gehen kann, akzeptiere ich nicht. Ich halte mich an das Motto meines Lehrmeisters Peter Zadek: ,Kein Alibi-Denken akzeptieren.
Suppanz: Was mich jeden Tag motiviert, ist Verantwortung. Ich habe im Theater Leute um mich, für die ich Verantwortung übernommen habe.
Fassbaender: Ich konfrontiere mich und Andere sofort und versuche Lösungen zu finden. Die meisten Probleme in dem emotionsgeladenen Berufsfeld Theater sind zwischenmenschlich.
Sobotka: Wichtig ist für mich, keine Angst vor dem Scheitern zu haben. Es gibt immer die Möglichkeit eines Neuanfangs.
Inwiefern fördern Sie weiblichen Nachwuchs?Badora: Für mich steht das Qualitätskriterium an erster Stelle. Wie Peter Zadek einst feststellte. ,Nur Mann oder Frau? Ich kenne mindestens 20 verschiedene Geschlechter. Aber natürlich habe ich Freude daran, jungen Frauen in ihrer Entwicklung zu helfen, da ich weiß, mit welchen - auch intrinsisch verursachten - Tücken sie im Laufe ihrer Karriere kämpfen müssen.
Suppanz: Ich habe stets vehement und instinktiv Frauen gefördert.
Fassbaender: Bei Bewerbungen sollte die Befähigung, nicht das Geschlecht im Vordergrund stehen.
Sobotka: Ich beobachte Frauen bewusst in ihrer Entwicklung, versuche sie zu unterstützen. Letztendlich entscheidet aber die Qualität.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?Badora: Ich nehme gerne Anregungen Anderer auf, sammle diese, stachle bisweilen die Schauspielerinnen und Schauspieler an, um deren Phantasien heraus zu locken. Am Ende muss jedoch eine oder einer entscheiden und die Verantwortung übernehmen - und das ist der Regisseur.
Suppanz: Ich würde meinen Stil als kollegial beschreiben. Hierarchien und Bürokratien kann ich nicht leiden. Zur Problemlösung trägt man meiner Meinung nach am besten bei, wenn man alle Beteiligten zusammenruft, der Erregung freien Lauf lässt und die Situation kalmiert, um das Problem auf sachlicher Ebene anzugehen.
Fassbaender: Der Begriff sanfte Diktatur würde meinen Führungsstil wohl am ehesten umschreiben. Ich hege großen Respekt vor meinen Mitarbeitern, vertraue ihnen. Ich empfinde mich nicht als Kontrollorgan. Aber ich muss die Entscheidungen treffen und den Kopf hinhalten. Letztendlich ist das Delegieren von Verantwortung in endlosen Sitzungen feige.
Sobotka: Mein Führungsstil? Team-orientiert mit flachen Strukturen.
Werden Theater von Frauen und Männern unterschiedlich geführt?Badora:Vielleicht. Frauen tendieren weniger zu hierarchischem, mehr zur Arbeit im Team. Frauen geben mehr Freiheiten und trauen jedem Einzelnen mehr Verantwortung zu.
Suppanz: Ich denke, es ist weniger eine Frage des Geschlechtes; verschiedene Persönlichkeiten werden unterschiedliche Akzente setzen.
Fassbaender: Ich habe mehrfach festgestellt, dass Frauen nicht so machtbesessen und eitel sind wie Männer, außerdem können sie leichter zugeben, nicht alles zu wissen, und sind eher bereit, Hilfe von Anderen zu akzeptieren.
Sobotka: Traditionell wird ein autoritärer Führungsstil eher Männern zugeschrieben, während Frauen als team-orientiert gelten. Ich denke jedoch, dass sich das Thema Mitarbeiterführung im Wandel befindet und sich Rollenzuschreibungen dieser Art zunehmend auflösen werden.
Kind oder Karriere: Standen Sie je vor dieser Frage?Badora:Ich musste, wie bereits erwähnt, meine Schwangerschaft verheimlichen, da sich meine beruflichen Pläne sonst zerschlagen hätten. So konnte ich nur ein Kind groß ziehen, obwohl ich mir mehrere gewünscht hätte. Mehr Kinder wären mit meinem Beruf wohl nicht unter einen Hut zu bringen gewesen.
Suppanz: Will man eine zentrale Position in einem Theater einnehmen, steht man definitiv vor einem Vereinbarkeitsproblem: Theaterarbeit ist ein Leistungssport. Man kann das nicht mit halber Kraft betreiben, und man muss eigentlich immer vor Ort sein, weil ständig etwas mit den Abteilungen im Haus abzuklären ist.
Fassbaender: In einer bestimmten Phase meines Lebens wäre ich sehr gerne Mutter geworden, aber es hat sich nicht ergeben. Wenn man die hohen Erwartungen erfüllen will, die auf der Bühne gestellt werden, muss man Abstriche im Privaten zwangsläufig hinnehmen. Das hat mich natürlich während meiner Karriere als Sängerin auch betroffen, ich musste auf manches verzichten, um mich für einen bevorstehenden Auftritt zu schonen. In einer Leitungsfunktion ist der Stress anders geartet, dennoch führe ich nach wie vor ein diszipliniertes Leben.
Sobotka: Wenn meine Mutter mit mir nicht nach Berlin gegangen wäre und sich um meinen Sohn gekümmert hätte, wäre ich vermutlich nicht Intendantin geworden. In unserem Job mit den vielen Abend- und Wochenendterminen hilft einem der beste Kindergarten wenig, man ist auf Rund-um-die-Uhr-Betreuung angewiesen. Dass ich meine berufliche Laufbahn und das Muttersein verbinden konnte, war ein Glücksfall. Berufstätigen Müttern wird mitunter immer noch ein schlechtes Gewissen eingeredet, als ob sie ihre Kinder vernachlässigen würden - dagegen verwehre ich mich. In unseren Köpfen ist die Kleinfamilie als Ideal noch fest verankert, dabei ist sie längst nicht mehr zeitgemäß. Kinder sind in größeren Zusammenhängen genauso gut aufgehoben und können dort geborgen aufwachsen.
Petra Rathmanner hat Theaterwissenschaft in Wien, New York und Paris studiert und ist seit 2004 Kulturredakteurin und Theaterkritikerin bei der "Wiener Zeitung".
Zur Person
Anna Badora, geboren 1951 in Tschenstochau (Polen), studierte Darstellende Kunst in Krakau - und als erste Frau Regie am Max Reinhardt Seminar. Sie war Schauspieldirektorin am Staatstheater Mainz, leitete zehn Jahre lang das Schauspielhaus Düsseldorf und ist seit 2006 geschäftsführende Intendantin am Schauspielhaus Graz. Ihr Vertrag wurde kürzlich bis 2017 verlängert. Badora hat Regiestars wie Peter Konwitschny und Theu Boermans, Schauspieler wie Peter Simonischek, Helmuth Lohner und Udo Samel nach Graz geholt. Ihre Erfolge spiegeln sich in den Auslastungszahlen: Diese liegen in Graz deutlich über 80 Prozent.
Isabella Suppanz, geboren in Spindlhof in der Steiermark, studierte in Wien unter anderem Theaterwissenschaft und begann ihre Laufbahn als Regisseurin am Wiener Burgtheater. Von 1989 bis 2004 war sie Dramaturgin am Theater in der Josefstadt sowie Lektorin an der Universität Wien und am Max Reinhardt Seminar. Von 2005/06 bis zum Ende dieser Spielzeit leitet sie das Landestheater Niederösterreich, ihre designierte Nachfolgerin ist Bettina Hering. Während ihrer Intendanz hat Suppanz die Bühne in St. Pölten mit internationalen Gastspielen, ambitioniertem Spielplan und konsequenter Ensemblepflege zu einem Sprechtheater ersten Ranges geführt.
Brigitte Fassbaender, geboren 1939 in Berlin, stammt aus einer Künstlerfamilie. In den 1970er und 1980er Jahren trat die Mezzosopranistin an vielen Häusern Europas auf und war regelmäßiger Gast bei den Salzburger und Bayreuther Festspielen sowie an der New Yorker Met. 1995 beendete sie ihre Gesangskarriere und widmet sich seitdem verstärkt der Regie. Von 1999 bis zum Ende dieser Spielzeit leitet sie als Intendantin das Tiroler Landestheater, ihr designierter Nachfolger heißt Johannes Reitmeier. Fassbaender ermöglichte Uraufführungen in den Sparten Schauspiel, Tanz und Musik und steigerte die Auslastungszahlen.
Elisabeth Sobotka, geboren 1965 in Wien, studierte Musikwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre. Ihre Laufbahn begann sie bei den Salzburger Festspielen, der Wiener Jeunesse und an der Oper Leipzig. Bevor sie 2002 nach Berlin ging, war Sobotka acht Jahre lang in leitender Position an der Wiener Staatsoper tätig. Seit 2009 ist sie geschäftsführende Intendantin der Oper Graz, ihr Vertrag wurde kürzlich bis 2017 verlängert. Die Grazer Oper deckt unter der Ägide Sobotkas die ganze Bandbreite des Musiktheaters ab - vom Musical bis zur (geplanten) Kinderoper, von (einem neuen) "Lohengrin" bis zu weiteren Uraufführungen.