Der Aufschrei in den Boulevardmedien war groß: Kaum sind die Schengen-Grenzen zu den neuen Mitgliedsstaaten geöffnet, strömen Asylwerber ins Land, riefen sie. 400 neue Fälle allein in Traiskirchen!
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Weniger betont wurde, dass wohl nur die allerwenigsten der Neuankömmlinge eine Chance haben, auch in Österreich zu bleiben. Und näher betrachtet muss die Kritik in die Gegenrichtung gehen: Die meisten der 400 Asylwerber sind Tschetschenen, die die österreichischen Behörden früher als schutzwürdig betrachtet hatten. Nun aber werden sie an die Kollegen in Polen und der Slowakei verwiesen, wo ihnen nur selten positive Asylbescheide ausgestellt werden.
Schon lange vor dem Fall der Grenzen hatten sich die EU-Staaten außer Großbritannien im Dublin-Abkommen darauf geeinigt, dass Asylwerber ihre Verfahren grundsätzlich nur im ersten EU-Land erhalten, wo sie einreisen. Dort werden sie per Fingerabdruck in der Asylwerberdatenbank Eurodac registriert.
Nach Österreich war die Einreise also seit Mai 2004 theoretisch nur mehr über internationale Flughäfen möglich. Ausnahmen für Verfahren in anderen Fällen gibt es lediglich für unbegleitete Minderjährige, minderjährige Familienangehörige ersten Grades von bereits legal im Land Lebenden oder jene, denen nicht nachweisbar ist, über welches Land sie eingereist sind. Ohne Beweis müssen sie laut Dublin von den Nachbarländern nicht zurückgenommen werden.
Polen und die Slowakei, woher die meisten neuen Traiskirchen-Bewohner kommen, haben sich aber als fleißige Fingerabdrucksammler erwiesen. Bei der Anerkennung des Asyls sind beide Länder dagegen weit restriktiver als Österreich. Zwar sind auch sie der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet. Doch die lässt sich weit auslegen.
Schutzberechtigt ist, wer in seiner Heimat aus religiösen, politischen, ethnischen Gründen oder wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt wird. Das fassen Polen und die Slowakei eng: Schließlich werden nicht alle Tschetschenen verfolgt, heißt es etwa. Wer plausibel machen kann, dass er in der Heimat von Folter bedroht ist, erhält in Polen immerhin Schutz vor Abschiebung.
Ihrer sofortigen Ausweisung aus Österreich laut Dublin könnten die Neuankömmlinge nur in konkreten und eng gefassten Ausnahmefällen entgehen: Besondere Traumatisierung oder nahe stehende Familienangehörige zweiten, dritten Grades fallen darunter.
Entschieden wird darüber beim Unabhängigen Asylsenat. Doch dessen Mitglieder stehen unter Druck: Nach der Umwandlung in den Asylgerichtshof im Sommer 2007 müssen sie nicht übernommen werden. Da dürfte es sich kaum anbieten, entgegen dem Wunsch von Innenminister Günther Platter Präzedenzfälle für Asylwerber zu schaffen, die Österreich gar nicht mehr verpflichtend betreuen muss.