Zum Hauptinhalt springen

Theorie und Praxis der Märkte

Von Holger Blisse

Gastkommentare
Holger Blisse ist Wirtschafts- und Sozialanalytiker und unter anderem auf kreditwirtschaftliche, genossenschaftliche und sozial-politische Themen spezialisiert.
© privat

Soziale Markt- und Wettbewerbswirtschaft bleibt notwendig, sie gibt ab und teilt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Auf die Ordnung der Wirtschaft wirken weiterhin stark Vorstellungen wie jene von Friedrich August von Hayek. Ihm zufolge ist der Markt keine soziale Veranstaltung: Er sorgt dafür, in Kombination mit Joseph Alois Schumpeters dynamischem Unternehmer, die Wirtschaft aus ihrem statischen Zustand zu befreien. Das Wissen der Marktteilnehmer ist nicht zentralisiert, sondern wird durch den Markt koordiniert - ein dynamischer Prozess, der ständige Meinungsbildung fördert.

Preise stellen Informationen dar - sie eröffnen über Geld vermittelte Entscheidungen auf Basis objektivierter Daten, die dem einzelnen Marktteilnehmer allein so nicht zur Verfügung stünden. Der Wettbewerb ist ein "Entdeckungsverfahren": Er bringt Waren, Güter, aber auch Moralvorstellungen und soziale Tatsachen hervor, die aktuell noch nicht oder nicht mehr bekannt sind und nicht planvoll angesteuert werden können. Der Wettbewerb bevorzugt als abstrakte Ordnung keine Werte, sondern sichert ständigen Wandel von Wertmaßstäben.

So weit die Theorie. In der Praxis setzen die starken, lauten Marktteilnehmer bis hin zu den politischen Gestaltern an der EU-Spitze ihre Vorstellungen durch. Verschiedene Märkte (Aktien, Immobilien, Rohstoffe, Kryptowährungen) und die beteiligten Institutionen und Personen neigen zu vorübergehenden Übertreibungen und weisen Unvollkommenheiten, Enge und (Informations-)Asymmetrien auf. Daher reguliert und beaufsichtigt man sie, in Österreich etwa durch die Finanzmarktaufsicht (FMA). Die von der FMA Beaufsichtigten wie Banken und Sparkassen, Versicherungen oder Kapitalanlagegesellschaften gelten wie institutionelle Investoren überhaupt nur als Marktteilnehmer.

Die Transformation - ob mit oder ohne Gemeinwohl-Orientierung - in Richtung Marktökonomie, begonnen im angelsächsischen Raum und heute über EU-Institutionen vermittelt, schreitet voran. Sie sollte nicht übersehen, dass es sehr diverse (Kapital-)
Marktteilnehmer gibt - bis hin zu Kleinanlegern und Konsumenten. Der Ökonom Stephan Schulmeister beschrieb es 2008 so, dass "die Kunde von den Gewinnen und das Schweigen der Lämmer über ihre Verluste (...) den Märkten stetig ‚frisches Blut‘ zu[führen]". Notwendig bleiben Institutionen des Vertrauensschutzes, die fehlerhafte Marktangebote vervollständigen und sich bis heute mit ihrer den Markt regulierenden und Preisausschläge verringernden Rolle und als Alternativen bewähren. Dazu zählen (noch) Kreditgenossenschaften und Sparkassen oder gemeinnützige Bauvereinigungen.

Entgegen einer vollkommenen Marktwelt ist es nötig und wird auch erwartet, dass der Staat rechtzeitig eingreift, um Marktteilnehmer zu stützen und deren Funktionen zu erhalten, die gerade Eigenarten des Marktgeschehens beeinträchtigen können. Eine marktimmanente Vergütung für diese Stütze könnte man in einer (Finanz-)Transaktionssteuer sehen. Auf diese Weise hat der Staat Anteil an den Transaktionen Einzelner, die sehr schnell - wie schon geschehen - nicht nur im Misserfolgsfall die Allgemeinheit in Mitleidenschaft ziehen. So zahlt der Markt eine Art soziale Dividende aus und verliert der Wettbewerb etwas von seiner Schärfe - ein wertvoller Beitrag zum Erhalt des Sozialen gerade auch in der Corona-Zeit.