Morddrohungen und Nazi-Vergleiche: Wahlkampf ums höchste Amt im Staat erreicht in sozialen Netzwerken tiefstes Niveau.
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Wien. "Im Gegensatz zum politischen Mitbewerber wollen wir hier ganz bewusst - nichts - unterstellen!" So überschrieb vergangenes Wochenende die FPÖ Kapfenberg eine Bildmontage, die sie auf ihrer Facebook-Seite teilte. Darauf zu sehen war ein Sujet von Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen, mit Hund und in Freizeitkleidung in alpiner Umgebung. Direkt darunter: Bilder von Adolf Hitler mit Schäferhund am Obersalzberg. Keine Unterstellung, behauptet die FPÖ, die den Eintrag kurze Zeit später wieder löschte, aber immerhin "unglücklich gewählt" sei das Sujet des Kontrahenten von FPÖ-Kandidat Norbert Hofer.
"Diesem Drecksack gehört mit einer 9 mm das Hirn ausgeblasen auf der Stelle. Dieser Sandler hat keine Lebensberechtigung also weg damit" (sic), schrieb im September ein Facebook-Nutzer mit vollem Namen unter einen Eintrag zu Van der Bellen. Er solle den Kommentar "besser umschreiben", ansonsten riskiere er eine Anzeige, wurde dem Herrn kurz darauf von einer weiteren Anhängerin von Hofers geraten.
Der Präsidentschaftswahlkampf im Netz hat ein geradezu unterirdisches Niveau erreicht. Von einer inhaltlichen Auseinandersetzung kann schon lange nicht mehr die Rede sein, stattdessen werden immer häufiger die Grenzen des Strafrechts überschritten. "Wir zeigen jene Poster, die strafrechtlich relevante Drohungen gegen Leib und Leben von Alexander Van der Bellen äußern, nicht selbst an, sondern dokumentieren diese Vorfälle und übergeben alle den Behörden", sagt dazu Van der Bellens Wahlkampfmanager Lothar Lockl, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Trittbrettfahrer im Netz
Besonders ärgert sich Lockl über einen Facebook-Eintrag von Heinz-Christian Strache vergangenen Wochenende. Der FPÖ-Chef postete einen Screenshot einer Debatte auf dem Privatsender Puls 4, in der Van der Bellen auf Hofer traf. Van der Bellen habe wohl vergessen, die andere Hälfte seines Oberlippenbarts zu rasieren, so Strache in seinem Eintrag: "Was vergisst er noch?" Es gehe der FPÖ darum, Van der Bellen als alt darzustellen, ja ältere Menschen verächtlich zu machen, sagt Lockl. Seiner Meinung nach hat das Vorgehen der FPÖ Methode: "Man stellt diffamierende Äußerungen und Behauptungen gegen den Mitbewerber in den Raum und nimmt sie einige Zeit später halbherzig zurück, nur um einige Tage später mit neuen Diffamierungen nachzulegen." Diese Taktik bereitet aus seiner Sicht vor allem in den sozialen Medien den Boden für Trittbrettfahrer, die dann selbst vor Gewaltandrohungen nicht mehr zurückschrecken. Lockl appelliert an die FPÖ, auf solche Untergriffe zu verzichten.
Konfrontiert man die Freiheitlichen, namentlich Hofers Wahlkampfleiter Martin Glier, mit Lockls Aussagen, so bekommt man umgehend eine ganze Liste mit dokumentierten digitalen Ausritten der Gegenseite vorgelegt. Das Unterstützermilieu Van der Bellens, sagen Glier und Alexander Höferl, zuständig für Hofers Social-Media-Kampagne, falle regelmäßig durch Untergriffe gegen den FPÖ-Kandidaten auf. "Nicht alles dringt bis zu uns in die Zentrale durch", so Höferl. "Meist sind es Benutzer mit falschen Profilen, Die Poster mit Klarnamen werden aber mehr." Es komme auch vor, dass man Poster den Behörden melde. Nazi-Vorwürfe würden die Kampagne Hofers schon den ganzen Wahlkampf begleiten, berichtet die FPÖ.
So teilte eine Administratorin einer Unterstützer-Seite für Van der Bellen auf Facebook ein Sujet, auf der Hofer im Braunhemd und mit rot-weißer Armebinde zu sehen war. "So geht Briefwahl!", stand darüber in Frakturschrift zu lesen. Und: "Wir dürfen dieses schöne Land nicht den linksintellektuellen Gutmenschen überlassen, nur weil die Lesen und Schreiben können." (sic) Der ursprüngliche Verfasser des Eintrags löschte diesen im September mit den Worten: "Anscheinend habe ich mit der Motivwahl auch dazu beigetragen, Gräben noch weiter aufzureißen. Das ist aber nicht meine eigentliche Absicht. Ich hatte sicher schon Posts, die es mehr verdient hätten, geteilt zu werden. Leider funktioniert das aber nur dann gut, wenn es wirklich deftig wird auf die eine oder andere Weise." Wirklich deftig? Wird der Wahlkampf tatsächlich im Netz entschieden? Und welchen Preis zahlt die Politik für inferiore Taktiken? Braucht es Nazi-Vergleiche, Mord- und Gewaltdrohungen oder persönliche Untergriffe, um die Wählerschaft im Internet zu mobiliseren?
Donald Trumps Wahlsieg in den USA habe sehr wohl gezeigt, dass eine massive Schmutzkübelkampagne mit regelmäßigen persönlichen Untergriffen zum Erfolg führen könne, sagt Günther Ogris vom Meinungsforschungsinstitut Sora: "Speziell die Mobilisierung in den letzten Tagen vor dem Wahlgang wird entscheidend sein." Die Lager seien polarisiert, die Zahl der noch Unentschlossenen mit knapp 200.000 überschaubar, so Ogris. Es gelte, Emotionen zu bedienen.
Arbeitsteilung im Wahlkampf
Um diese Emotionen nicht eskalieren zu lassen und den Hass im Netz einzudämmen, fordert Technologieminister Jörg Leichtfried ein gemeinsames Vorgehen der EU. Ein einzelnes Land wie Österreich sei hier nicht in der Lage, allzu viel auszurichten, es brauche daher EU-weite Regelungen nicht nur für Facebook, sondern auch für andere soziale Plattformen, so der Minister, der andernfalls eine "massive Spaltung der Gesellschaft" befürchtet, die "demokratiepolitisch gefährlich" sei.
Dass jener Kandidat die Nase vorne haben wird, der in den sozialen Medien die meiste Aufmerksamkeit generiert, ist für den Politologen Peter Filzmaier nicht belegbar. Empirisch beweisbar sei aber ein Aktions-/Reaktionsschema: "In Untersuchungen zeigt sich, dass zunehmend nicht das Wording, also die Inhalte, ausschlaggebend sind, sondern die Frage, welcher Kandidat am häufigsten proaktiv auftritt, und wer eher reagiert oder sich verteidigen muss." Dies gelte aber nicht nur für digitale, sondern vor allem auch für die klassischen Medien - für Plakate und Inserate ebenso wie für das Fernsehen, wo schlussendlich auch Trump das Rennen ums Weiße Haus für sich entscheiden habe. Die sozialen Medien aber seien oftmals Ausgangspunkt für eine Art Staffellauf: Eine untergriffige Aussage, ein polarisierender Eintrag oder ein NS-Vergleich auf Facebook findet rasch seinen Weg auf die Startseiten der Online-Medien, generiert dort noch mehr Aufmerksamkeit - und landet schlussendlich in den Massenmedien und im TV. Filzmaier zitiert dazu den Präsidenten des US-Sender CBS: "Ich halte Trump für schlecht für Amerika, für uns aber ist er sehr gut."
Der Vorteil von Schmutzkübelkampagnen in sozialen Netzwerken sei schlicht, dass man die Arbeit Dritten oder scheinbar Unbeteiligten überlassen könne, sich also persönlich die Hände nicht schmutzig machen müsste - und jederzeit darauf verweisen könne, dass die Urheber ja nicht Teil des eigenen Wahlkampfteams seien, so Filzmair.