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Tiefer geht’s immer

Von Walter Hämmerle

Politik
Gleichgültigkeit, ja mitunter sogar Verachtung gegenüber der Idee parlamentarischer Demokratie ist kein Randphänomen mehr. Das Bild zeigt einen Aufruf anarchistischer Gruppen in Wien zum Boykott von Wahlen.
© Hämmerle

Initiative für Demokratiereform präsentiert ernüchternden Bericht zum Vertrauen in die Politik.


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Wien. Seit sechs Jahren gibt die Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform eine Studie zum Zustand der heimischen Politik in Auftrag - und noch nie waren die Vertrauenswerte in Regierung und Parteien niedriger. 82 Prozent haben laut dieser OGM-Umfrage von Ende September (500 repräsentativ ausgewählte telefonische Interviews, Schwankungsbreite +/-4,5 Prozent) "weniger" oder "gar kein" Vertrauen in die Politik; 2015 betrug dieser Wert noch 78, im Jahr davor sogar nur 67 Prozent. Bezogen auf die Politiker erreicht das Misstrauensvotum sogar 89 Prozent.

Dahinter steht eine lange Geschichte des rasanten Vertrauensverlusts: 77 Prozent der Befragten geben an, dass ihr Vertrauen in die Politik in den vergangenen fünf Jahren gesunken sei, gestiegen ist es nur bei statistisch kaum mehr wahrnehmbaren 2 Prozent, immerhin gleichgeblieben bei 20 Prozent. In Nuancen positiver fällt eine Befragung von 200 Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft beziehungsweise Interessenvertretungen, Zivilgesellschaft und Medien aus: Hier erreicht die Zufriedenheit mit der hiesigen Demokratie ein "Befriedigend" auf einer Schulnotenskala - mit negativem Ausblick für das kommende Jahr.

"Regierung hat Idee dergroßen Koalition diskreditiert"

"Befund für den Stillstand" fasst dementsprechend ernüchternd Heinrich Neisser, der Vorsitzende der Initiative, den aktuellen Demokratiebefund zusammen. Maßgeblich macht Neisser die langjährige Zusammenarbeit von SPÖ und ÖVP für diesen Zustand verantwortlich: "Die jetzige Regierung hat die Idee einer rot-schwarzen Koalition auf Dauer diskreditiert", ist der langjährige ÖVP-Politiker, unter anderem als Klubobmann und zuletzt als Zweiter Nationalratspräsident, überzeugt.

Aus diesem tiefen Tal des Vertrauensverlusts der Bürger in ihre demokratisch gewählten Vertreter gibt es keinen einfachen Ausweg. Geht es nach der Initiative für Demokratiereform, sollte jedoch an folgenden Hebeln angesetzt werden: Erstens, Reform des Wahlrechts in Richtung Personalisierung samt mehrheitsfördernder Elemente; von einem radikalen Mehrheitssystem wie etwa in Großbritannien hat sich die Initiative verabschiedet. Zweitens, Ausbau der Politischen Bildung. Drittens, Stärkung der direkten Mitsprachemöglichkeit - innerhalb und außerhalb der Parteien. Viertens, ein möglichst weitegehendes Transparenzgebot der öffentlichen Hand im Umgang mit den Bürgern. Und schließlich, fünftens, Reform des ORF im Sinne einer umfassenden Entpolitisierung und Einführung einer Medienabgabe (als Ersatz für die ORF-Gebühr) zur Unterstützung eines qualitativen Medienangebots.

Im Zusammenhang mit seinem Plädoyer für mehr direkte Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger spricht sich Neisser auch für eine Direktwahl der Landeshauptleute aus. Allerdings nicht als isolierte Einzelmaßnahme, sondern als Teil einer umfassenden Reform des heimischen Föderalismus.

Debatte um Direktwahl der Landeshauptleute

Tatsächlich lässt sich eine Direktwahl der Landeshauptleute auch leichter fordern als umsetzen. Zuletzt hatte ja Tirols Günther Platter einen entsprechenden Vorstoß unternommen. Verfassungsrechtlich kollidiert eine solche Direktwahl des derzeit vom Landtag gewählten Landeshauptmanns mit dem parlamentarischen Prinzip unserer Staatsordnung, wie der Wiener Verfassungsrechtler Theo Öhlinger, ebenfalls ein Mitglied der Initiative zur Demokratiereform, erläutert. Mit einiger Wahrscheinlichkeit würde ein entsprechendes Verfassungsgesetz für die Direktwahl auch eine eigene Volksabstimmung verlangen, da eine solche Neuerung einer Gesamtänderung der Bundesverfassung gleichkäme, argumentiert Öhlinger.

Ein solcher Schritt müsste aber auf jeden Fall in eine Gesamtreform der Landespolitik eingebettet sein - inklusive einer ohnehin seit langem dringend benötigten Kompetenzbereinigung zwischen Bund und Ländern. Was wiederum, so jedenfalls die Hoffnung der Befürworter einer solchen Maßnahme, zu einer völlig neuen politischen Kultur auf Landesebene führen soll. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.